Leseprobe – Sequel

Der Bus hält direkt neben uns. Die Menschen drängen sich nach draußen, sobald die Türen geöffnet sind. Ein älterer Mann, der als letztes den Bus verlässt, verbreitet eine unangenehme Schweißnote. Raxia hält sich die Nase zu, während wir einsteigen und nach freien Sitzplätzen Ausschau halten. Die sind Mangelware im vollen Bus. Die, die wir erspähen, geben wir auf, als wir eine schwangere Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand entdecken. Sie lächelt mich an, als ich ihr den Vortritt lasse.
„Vielen Dank. So viel Freundlichkeit kenne ich gar nicht“, sagt sie.
„Keine Ursache“, antworte ich und nehme an der Haltestange neben Raxia Position ein.
„Da haben wir die Welt gerettet und trotzdem hat sich nichts verändert“, seufzt sie. „Die Menschen sind genauso verbittert wie früher.“
„Die Frau war doch nett.“
„Du weißt, was ich meine, Mio“, knurrt sie und rollt mit den Augen. Jetzt bin ich der, der seufzt.
Es ist ein Jahr her, seit Milan, Raxia und ich Zodans Prophezeiung erfüllten und das Gleichgewicht der Welt wiederherstellen konnten. Wir kehrten als Lebende zurück und verloren sämtliche Fähigkeiten, die uns Zodans Fluch auferlegte. Wir wurden wieder zu normalen Menschen. Während mein älterer Bruder und ich diese Entwicklung auch heute noch begrüßen, fällt es Raxia schwer, sich an ihr neues Leben zu gewöhnen.
Meine Gedanken reißen ab, als ein Mann beim nächsten Halt an uns vorbeigeht, weil er aussteigen möchte. Er rempelt uns rücksichtslos an.
„Passen Sie auf, wo Sie langgehen!“, ruft ihm Raxia nach. Er reagiert nicht, was sie noch wütender zu machen scheint. Verständlich. Raxia hatte gehofft, dass die Bosheit aus den Menschen verschwindet, ist erst das Gleichgewicht wiederhergestellt. Das war leider ein Trugschluss. Die Welt hat sich nicht wirklich verändert.
„So eine Frechheit“, murmelt sie vor sich hin.
„Reg dich nicht auf. Vielleicht war es keine Absicht.“
„Auch ohne Absicht hat der Augen im Kopf!“
Sie dreht sich von mir weg und schweigt. Ich muss schweren Herzens akzeptieren, dass ich Raxia gerade nicht aufmuntern kann. Die Fahrt geht weiter, bis wir beim Luigi’s ankommen. Milan und ich arbeiten in der Pizzeria als Kellner. Heute bin ich jedoch nicht zum Arbeiten hergekommen.
Vor der Eingangstür bleiben wir stehen. Raxia holt tief Luft.
„Du schaffst das“, versuche ich ihr Mut zu machen.
„Danke, dass du mitgekommen bist.“
„Ich hol dich in einer Stunde wieder ab.“
„So lange geht ein Vorstellungsgespräch?“, fragt sie nervös.
„Du weißt wie gern Luigi redet.“
Sie seufzt und steht als kleines Häufchen Elend vor mir. Alles in mir verlangt danach, sie zu umarmen, aber ich darf nicht. Wir sind kein Paar und werden wohl auch nie eines werden, weil die Liebe zwischen uns einseitig ist.
„Sei einfach wie du bist. Eigentlich hast du den Job doch schon in der Tasche. Das Bewerbungsgespräch ist nur zum Schein“, versuche ich sie zu beruhigen.
„Ich hoffe es.“
Sie schenkt mir ein kurzes Lächeln, bevor wir uns verabschieden und sie die Pizzeria betritt. Ich sehe ihr sehnsüchtig hinterher, bis sie hinter der zugefallenen Tür verschwunden ist. Stumm wende ich mich ab und laufe ein Stück, bis mir ein Typ vor die Füße stolpert. Er scheint in Eile und entschuldigt sich sofort für seine Unachtsamkeit.
‚Die Menschen scheinen alle nicht mehr geradeaus gucken zu können‘, denke ich und nehme die Entschuldigung an.
„Sag mal, vielleicht kannst du mir helfen“, meint der Typ. „Ich suche ’ne Pizzeria. Das Luigi’s. Muss hier in der Nähe sein.“
Ich drehe mich zur Seite und verweise auf das große Namensschild über der Eingangstür, die keine zwanzig Meter von uns entfernt ist. Der Typ lacht erleichtert.
„Na endlich! Ich hab gleich ein Bewerbungsgespräch und hatte schon Sorge, zu spät zu kommen. Vielen Dank. Hast mir voll den Tag gerettet.“
Er wartet meine Antwort nicht ab, sondern zieht von dannen. Ich sehe dem komischen Typ hinterher und wundere mich, dass Luigi scheinbar zwei neue Stellen besetzen möchte. Mir war nicht klar, dass wir so viel Personal benötigen.

* * * * * * * * * * * * * * *

Ich treffe mich mit Milan im Park. Er sitzt mit Bellchen und Dodo, seinen Kindern, im Gras und scheint versucht, ein paar Grillen zu fangen. Ich schleiche mich an und zirpe ihm von hinten ins Ohr. Er erschrickt und wird von seinen Kindern ausgelacht. Sie umarmen mich zur Begrüßung, während Milan mir den Mittelfinger zeigt. Die Grillensuche ist damit beendet. Wir laufen zum Spielplatz, der gleich um die Ecke ist. Jetzt haben wir Zeit zum Reden.
„Hast du sie abgeliefert?“, fragt Milan, während er sich eine Zigarette ansteckt. Ich nicke und beobachte Dodo und Bellchen im Sandkasten.
„Sie war ziemlich nervös“, erzähle ich.
„Warum? Ist doch klar, dass Luigi sie einstellt.“
„Hab ich ihr auch gesagt. Aber vor dem Laden hat mich ein Typ angerempelt, der ebenfalls zu einem Bewerbungsgespräch wollte. Stellt Luigi zwei neue Kellner ein?“
„Nein. Er sucht einen Stellvertreter.“
„Wozu?“
„Für den neuen Laden in der Einkaufspassage, die letzten Monat im Zentrum eröffnet wurde. Er hats mir erzählt.“
„Und warum nur dir?“
„Weil er will, dass ich die Leitung übernehme.“
„W-Was?!“
Milan grinst mich an und hält den Daumen hoch.
„Du hast richtig gehört. Vor dir sitzt das neue Oberhaupt von Luigi’s Zentrumsschmaus.“
„Wow, wie cool! Ich gratuliere dir!“
Milan winkt ab.
„Danke, aber häng es nicht an die große Glocke. Luigi wird alles noch rechtzeitig verkünden. Tu dann einfach überrascht. Obwohl er sich bestimmt denken kann, dass ich keine Geheimnisse vor dir habe.“
„Ich schweige wie ein Grab“, lächle ich. Milan nickt dankend, doch plötzlich kippt die ausgelassene Stimmung, weil Dodo anfängt zu heulen. Er ist mit dem Gesicht in den Sand gefallen. Milan holt ihn zu uns und pustet ihm die Körnchen aus den Augen. Bellchen flitzt zu ein paar anderen Kindern, um mit ihnen zu spielen. In der Zeit realisiere ich, was Milans Neuigkeit noch alles mit sich bringt.
„Das heißt, wir werden fortan keine direkten Kollegen mehr sein“, stelle ich bekümmert fest, als Dodo sich wieder beruhigt hat.
„Das kommt drauf an“, sagt er.
„Auf was?“
„Wie lange du noch brauchst, um zu begreifen, dass aus dir und Raxia nie etwas werden wird.“
„W-Was hat das denn damit zu tun?“
Milan schickt Dodo zurück in den Sand, bevor er weiterspricht.
„Caro und ich haben den Mietvertrag für unsere neue Wohnung gestern unterschrieben. Du hast jetzt die Chance, endlich einen Schlussstrich unter eure Beziehung zu ziehen, indem du dir eine eigene Bleibe suchst und in meinen Laden wechselst.“
„Ich will nicht allein wohnen.“ – ‚Warum müssen die umziehen, nur weil sie seit paar Wochen verheiratet sind? Es hätte doch alles beim Alten bleiben können …‘
Milan seufzt und schüttelt den Kopf.
„Wie soll dein Leben in ein paar Jahren aussehen, kleiner Bruder?“, fragt er.
„D-Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“
„Natürlich hast du das. Ich kenn dich. Du hoffst, vergeht erst ein bisschen Zeit und Raxia gewöhnt sich an unsere Welt, verliebt sie sich in dich und ihr kommt zusammen.“
„Nein, wir sind Freunde und das ist okay.“
„Ach, erzähl mir doch nichts“, meckert er und kneift mir in die Nase. Empört weiche ich zurück.
„Du könntest es nie akzeptieren, wenn sie mal irgendwann mit einem anderen Typen anbändelt.“
„Solange sie glücklich ist …“
Milan lacht. „Ja, klar“, feixt er. „Du hättest vollstes Verständnis, wenn sie im Zimmer nebenan liegt und du ihr lustvolles Stöhnen durch die Wand hören darfst, während sie mit irgendeinem Typen im Bett ist. Wahrscheinlich machst du den beiden Turteltäubchen am nächsten Morgen noch ein romantisches Frühstück, eurer Freundschaft zuliebe.“
Ich denke, Milan kann in meinem Gesicht lesen, dass allein die Vorstellung, Raxia könnte einem anderen gehören, in mir tiefe Depressionen auslöst. Er lehnt sich wissend zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Sein Blick gilt seinen spielenden Kindern.
„Ich spreche aus Erfahrung, Mio. Als ich damals mit Lilly zusammen war, hat sie es regelmäßig gegen Bezahlung mit anderen im Nachbarzimmer getrieben. Von dem Geld hat sie sich neuen Stoff besorgt. Es hat sie nie interessiert, dass mich das verletzt hat. Ihre Sucht war stärker.“
„Raxia ist nicht süchtig.“
„Nein, aber sie liebt dich nicht als Mann. Lilly hat mich auch nicht geliebt.“
„Du kannst die beiden nicht vergleichen“, antworte ich und stehe auf. Ich habe genug gehört.
„Haust du ab?“, fragt Milan.
„Ich muss sie abholen. Die Stunde ist vorbei.“
Er seufzt. „Ich halte dich nicht auf. Egal wie du dich entscheidest, ich stehe hinter dir. Aber lass dir bitte meine Worte durch den Kopf gehen. Lieber ein Ende mit Schrecken – …“
„Als ein Schrecken ohne Ende. Jaja, ich weiß“, murre ich und gehe zu Dodo und Bellchen, um mich von ihnen zu verabschieden. Sie nehmen mich in ihrem Spiel kaum wahr. Das ist nicht weiter schlimm. Nach dem Gespräch stehe ich sowieso neben mir und bin in tiefe Gedanken versunken, während ich vor der Pizzeria auf Raxia warte. Und als wären Milans Worte wahr geworden, kommt sie in Begleitung von dem schrägen Typen, der mich angerempelt hat, aus dem Laden. Die beiden scheinen sich prächtig zu verstehen. In mir verkrampft sich alles.
„Oh, Mio!“, ruft Raxia, als sie mich entdeckt.
„Hey, dich kenn ich doch“, stellt der Typ fest. Sie bleiben vor mir stehen. Ich versuche mich zusammenzureißen, aber mehr als einen beleidigten Blick bekomme ich nicht hin.
„Es war echt klasse“, berichtet Raxia, die meine Gefühlslage nicht zu bemerken scheint. „Lian hat mir geholfen, meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Ich habe mich nicht mehr wie auf dem Prüfstand gefühlt und konnte ganz locker mit Luigi reden. So wie sonst auch. Es hat wirklich Spaß gemacht und ich durfte sogar Probearbeiten. Und sieh mal!“ Sie kramt etwas aus dem Plastikbeutel, den sie in der Hand hält, der mir aber bisher noch gar nicht aufgefallen ist. Kurzerhand hält sie mir einen schwarzen Faltenrock vor das Gesicht. „Ich darf als weibliche Bedienung einen Rock tragen.“
„Du magst doch gar keine Röcke.“
„Ja, ich weiß. Ich hatte auch Sorge, weil er so kurz ist, aber Lian sagt- …“
Er unterbricht sie lachend und legt seinen Arm um ihre Schulter.
„Ich hab ihr gesagt, dass sie hübsch genug ist, um so einen Rock tragen zu können. Die Mädels von heute machen sich viel zu viele Sorgen um ihr Aussehen. Dabei ist jeder Mensch schön und strahlt von innen“, sagt der Affe und Raxia findet ihn auch noch witzig!
Kichernd stimmt sie ihm zu und strahlt mich über das ganze Gesicht an. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich ihr das letzte Mal so gute Laune verschafft habe – wenn das überhaupt jemals der Fall gewesen ist. Meine Eifersucht hat mich voll im Griff. Es kostet mich meine ganze Kraft, nicht wie eine wilde Bestie über diesen Kerl herzufallen und ihm die dusslige schwarze Tolle, die er Frisur nennt, vom Kopf zu reißen.
‚Stören wird ihn die ruinierte Frisur nicht, der strahlt ja von innen!‘, denke ich voller Zorn.
„Na, ich freue mich jedenfalls, dich in deinem hübschen Kellnerinnenoutfit demnächst bewundern zu können, Raxi. Wird bestimmt lustig, mit euch zu arbeiten. Jetzt mach ich aber erstmal nach Hause. Meine Katze hat Hunger. Mann soll eine Dame ja nicht warten lassen. Also dann. Peace und man sieht sich.“
„Ja, bis bald, Lian“, winkt Raxia und wirkt immer noch wie ausgewechselt. Während dem ganzen Weg nach Hause berichtet sie von nichts anderem als Lian.
Lian, der so unglaublich offen und herzensgut ist.
Lian, dessen freiheitslebender Charakter genau das verkörpert, wofür wir gekämpft haben.
Und – Lian, der so toll ist, dass sie sogar die Handynummern getauscht haben!
‚Warum habe ich sie nur überredet, sich eines anzuschaffen?!‘
Den ganzen Abend hängt sie an dem Ding und chattet mit diesem blöden Kerl. Caro und Milan entgeht das ungewöhnliche Verhalten nicht.
„Seit wann bist du zum Smobie mutiert?“, fragt Milan beim Abendessen, denn selbst am Tisch legt Raxia das Telefon nicht aus der Hand.
„Ich schreibe mit unserem neuen Kollegen“, strahlt sie.
„Neuer Kollege?“ Milans Blick huscht zu mir. Er erfasst meine gute Laune und das „Glück“, das ich ausstrahle. Wahrscheinlich fühlt er sich gebauchmiezelt, weil er mal wieder Recht hatte. Ich KANN nicht mit Raxia befreundet sein.
„Ja, ein total netter Kerl. Er heißt Lian, ist 22 und ist genau die Sorte Mensch, für die wir gekämpft haben.“
„Gekämpft?“, fragt Caro verwirrt.
„Für die hat sie mal gespendet“, mischt sich Milan ein, da Caro nach wie vor kaum Details unserer wahren Existenz kennt.
„Luigi beschäftigt jetzt Obdachlose?“, fragt Caro.
„Wer weiß“, winkt Milan ab und übergeht schnell das Thema. Ich darf ihm jetzt antworten.
„Ist das der Typ, von dem du erzählt hast? Der dich angerempelt hat?“, will er wissen.
Ich nicke verärgert.
„Ja“, fasse ich mich kurz und stehe auf, bevor das Verhör weitergehen kann. Ungeachtet der fragenden Blicke verschwinde ich in meinem Zimmer. Es ist jetzt nur noch halb so groß. Nachdem Raxia mir einen Korb gegeben hat, steht ein Sichtschutz in der Mitte des Raumes, den wir weiterhin gemeinsam bewohnen: nur eben jeder auf seiner Seite.
Ich schmeiß mich ins Bett und schließe die Augen. Da sind Wut und Enttäuschung in mir, die raus müssen. Erst will ich es unterdrücken, aber dann entscheide ich mich doch dazu, mein Kopfkissen zu verprügeln. Besser geht es mir danach leider immer noch nicht. Milan, der kaum später zur Tür hereinkommt, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Er platziert sich neben mich auf das Bett.
„Lachst du mich jetzt aus?“, frage ich deprimiert.
„Siehst du mich lachen?“
„Nein.“
Er schaut mich an und wuschelt mir durch die Haare. Ich schlage seine Hand weg und zieh die Beine an, um mich hinter ihnen zu verstecken.
„Du hattest Recht“, flüstere ich.
„Das höre ich zwar gern, aber darum bin ich nicht hier.“
„Aha.“
„Ich wollte dir nur sagen, dass mein Angebot steht. Ich hol dich liebendgern in mein Team. Eine Wohnung finden wir sicher auch für dich.“
„Ich denke darüber nach.“
„Okay.“ Er klopft mir auf die Schulter und geht, ohne etwas hinzuzufügen. Ich seufze und lasse mich auf den Rücken fallen. Arme und Beine von mir weggestreckt, merke ich, wie die Wut verschwindet und Traurigkeit zurückbleibt. Sie wandert durch mich durch und bleibt in meiner Brust. Dort wandelt sie sich in Schmerz und nimmt mir die Luft. Mein Herz krampft sich zusammen. Ich merke, wie mir die Tränen kommen. Schnell wische ich sie weg und dreh mich auf die Seite.

* * * * * * * * * * * * * * *

Bereits eine Woche nach dem Vorstellungsgespräch beginnen Raxia und Lian mit ihrer neuen Beschäftigung. Milans Aussage, Luigi würde einen Stellvertreter suchen, wurde bestätigt. Lian mit seinem abgeschlossenen Wirtschaftsstudium ist tatsächlich derjenige, welcher diese Position in dem neuen Laden einnehmen wird. Er soll Milan unterstützen. Raxia ist ebenfalls für das Team angedacht. Und ich auch, nachdem ich nicht in der Lage war, Luigis Wunsch abzulehnen. So viel zu Milans Plan, zu Raxia Abstand zu halten …
„Ich vertraue euch mein neues Baby an. Macht keinen Mist“, sagte Luigi und wir gaben hochheilig unser Ehrenwort.

Nach der heutigen Schicht frage ich Raxia, ob wir noch schnell in den Supermarkt gehen. Caro bat mich, neue Windeln für Dodo zu besorgen. Milan war nicht abkömmlich, weil er vor der Eröffnung der Zweigstelle voll eingespannt ist.
„Oh, das tut mir leid, Mio. Ich hab mich mit Lian verabredet. Er hat doch eine Katze und weil ich diese Tiere so liebe, wollte ich sie mir mal anschauen. Wir essen auch gleich zusammen. Er will etwas kochen. Echt ein Traummann, oder?“, berichtet sie, ohne zu merken, was ihre Worte in mir auslösen.
„Ich kann auch kochen“, meckere ich und erhalte ihrerseits einen verwirrten Blick.
„Bist du sauer?“, fragt sie.
Ich will meinen Ärger erst hinunterschlucken, doch es gelingt mir nicht. Wütend trete ich gegen den Schirmhalter, der neben der Tür steht, die aus dem Personalraum zum Hinterhof führt. Er kippt polternd um. Raxia erschrickt.
„Ja, ich bin sauer!“, fahre ich sie an und merke, wie ich die Kontrolle verliere. Meine Emotionen übermannen mich. Voller Eifersucht packe ich Raxia an den Armen und dränge sie an die Wand.
„Mio, was soll das?!“, fragt sie wütend, doch ich gehe gar nicht auf sie ein. In meinem Prass drücke ich ihr einen Kuss auf.
„Ich will nicht, dass du dich mit einem anderen triffst!“, sage ich ihr danach.
„Das hast du nicht zu entscheiden“, erwidert sie und gibt sich scheinbar alle Mühe, ruhig zu bleiben, damit die Sache nicht weiter eskaliert. Da ich aber will, dass es eskaliert, küsse ich Raxia noch einmal und fasse ihr an die Brust. Das ist überhaupt nicht meine Art, aber ich will mein Revier markieren. Absolut dumm. Die Ohrfeige, die ich von ihr kassiere, ist mehr als gerechtfertigt.
In dem Moment kommt Lian in den Pausenraum.
„Oh, störe ich?“, fragt er überrascht.
„Nein, du kommst genau richtig!“, sagt Raxia, geht zu ihm und nimmt seine Hand. „Lass uns gehen. Ich möchte deine Katze kennenlernen.“

* * * * * * * * * * * * * * *

Milan kommt spät in der Nacht nach Hause. Ich bin mit Wuff Gassi, als ich ihn vor der Haustür abfange. Schwanzwedelnd rennt der Hund zu Milan und lässt sich streicheln.
„Noch nicht im Bett?“, fragt er.
„Ich brauche frische Luft.“
Milan sieht mich an und weiß sofort bescheid. Er seufzt und verlangt Wuffs Leine. Ich gebe sie ihm.
„Los, wir drehen noch eine Runde“, sagt er. Ich lehne nicht ab.
Schweigend spazieren wir um den Block – im Schneckentempo, denn Wuff muss an so ziemlich jeden Grashalm pinkeln, den er finden kann.
„Ihr habt euch gestritten, oder?“, fragt Milan ins Blaue hinein.
Ich nicke geknickt.
„Willst du mir davon erzählen, Mio?“
„Eigentlich nicht.“
„Dann wird es aber ein ziemlich langweiliger Spaziergang.“
„Erzähl du doch was.“
„Du zuerst.“
Ich verdrehe die Augen, bevor ich weiterspreche: „Du gibst nicht auf, was?“
„Nö.“
Ich seufze. „Okay. Ich hab meine Eifersucht nicht mehr im Griff und deswegen haben wir uns gestritten.“
„Das ist schlecht.“
„Ich weiß. Es macht mich rasend, sie mit diesem Affen zu sehen. Sie ist total besessen von ihm. Das ist sowas von ätzend. Wenn ich den seine dämliche Haartolle nur von Weitem sehe, könnte ich ausrasten.“
„Wenn du willst, bitte ich Luigi, Raxia nicht zu versetzen. Dann arbeitet sie nicht mehr mit Lian zusammen. Ich glaube aber nicht, dass das deine Probleme lösen wird.“
„Nein, mach das nicht. Sie würde uns das nie verzeihen, wenn sie es herausfindet.“
Milan schweigt. Wir gehen weiter, bis Wuff erneut stehenbleibt und gegen die Laterne pinkelt. Danach überqueren wir die Straße – immer noch stumm. Ich denke intensiv über eine Lösung nach, aber wie ich es auch versuche zu drehen, ich werde um eine räumliche Trennung von Raxia nicht herumkommen, will ich nicht, dass es im Desaster endet.

Vor der Wohnungstür hält Milan mich zurück. Ich sehe ihn fragend an.
„Ich hab ’ne Idee wie du auf andere Gedanken kommst“, sagt er.
„Lass hören“, seufze ich hoffnungslos.
„Du brauchst ein Date. Irgendein Mädel für ’ne Nacht. Ich glaube, es wird dir guttun, mal nicht abgewiesen zu werden.“
„Und wo soll ich eine finden? Ich bin nicht wie du. Ich tu mich schwer mit neuen Bekanntschaften. Außerdem will ich keinen Sex mit irgendeiner, die ich nicht mal liebe.“
„Bist du dreizehn? Ich rede von Sex, nicht von Liebe. Dein Schwanz verkümmert, wenn du ihn nicht benuzt.“
„Du spinnst doch.“
Ich will an Milan vorbeigehen, aber er hält die Tür versperrt. Wütend funkle ich ihn an. Er bleibt ernst.
„Ich lass meine Kontakte spielen und organisier dir ein hübsches Mädel, mit dem du Spaß haben wirst. Danach sieht die Welt ganz anders aus. Glaub mir, Mio.“
„Bist du jetzt Zuhälter geworden?“ Ich quetsche mich an ihm vorbei. Das Gespräch ist für mich beendet.

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Keys of Zodan

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Leseprobe – Band 3

* * * Emilio * * *

Das „Kaffeehäuschen“ stellt sich als eine Cocktailbar mit zweifelhaftem Namen heraus. Silas und ich haben uns gerade an einen Tisch gesetzt, als Raxia unsere traute Zweisamkeit stört. Sie ist aufgeregt und kurz angebunden, nachdem sie durch die Eingangstür gestürmt und zu unserem Tisch gelaufen kommt. Ich kann Silas’ Gesicht ansehen, wie wenig er sich über ihren Besuch freut.
„Komm mit!“, sagt Raxia und greift meine Hand. „Wir müssen uns beeilen, bevor er dich findet.“
Silas erhebt sich wütend vom Stuhl. Seine Faust landet auf dem Tisch. Spätestens jetzt sehen alle Gäste zu uns rüber.
„Es reicht“, knurrt er. „Wenn sein Bruder so ein Problem mit mir hat, soll er selbst kommen und nicht seinen Laufburschen schicken.“
„Ich bin kein Laufbursche!“, erwidert Raxia empört und stemmt die Hände in die Hüften. Bevor die Sache noch weiter eskaliert, gehe ich dazwischen. Ich kann beide überzeugen, das Gespräch vor der Tür fortzusetzen.

„Was ist passiert, Raxia?“, frage ich mit ruhiger Stimme. Sie holt tief Luft und redet sehr schnell, als sie mir von der Explosion berichtet. Silas und ich bekommen große Augen. Bei mir hält zusätzlich noch Angst Einzug, da Pirk gerade ganz in meiner Nähe zu sein scheint.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, beendet Raxia ihren Monolog und will mich an der Hand mitzerren, doch Silas hält meine Schulter fest. Ich fühle mich wie das Seil beim Tauziehen.
„Wenn es Milan und seiner Freundin gut geht, braucht Mio sich nicht zusätzlich ins Chaos zu stürzen“, erklärt er. „Ich kann ihn nach unserem Treffen nach Hause bringen.“
„Misch dich nicht ein!“, faucht Raxia in ihrer liebevollen Art und schafft sich einen neuen Feind. Silas’ Griff an meiner Schulter wird fester. Mir ist klar, dass ich ihm alles erklären muss, will ich ihm jemals wieder unter die Augen treten. Deswegen lasse ich trotz Raxias Einwand ihre Hand los.
„Geh schon mal vor“, sage ich und sehe sie entschuldigend an. Sie schluckt ihre Widerworte hinunter und nickt verärgert.
„Ich warte. Beeil dich!“, sagt sie.
Silas und ich stellen uns an den Rand von dem Gästeparkplatz der Cocktailbar. Der Abstand zu Raxia ist groß genug, sodass wir ungestört reden können.
„Ich finde, eure Geschwisterbeziehung ist toxisch“, beginnt Silas und sieht vorwurfsvoll mit verschränkten Armen auf mich hinab.
„Mein Bruder ist nicht der Grund, warum ich zurück muss. Können wir unser Treffen bitte nachholen? Ich erkläre dir dann alles in Ruhe. Versprochen.“
„Ich habe keine Lust, zwischen den Stühlen zu sitzen. Als wir noch zur Schule gingen, hat es mich nicht gestört, dass du dich nicht outen wolltest. Aber jetzt sind wir erwachsen. Ich bin nicht der Typ für ein falsches Spiel. Entweder, du bekennst dich zu mir oder die Sache hat sich erledigt.“
„Ich mache doch gar kein Geheimnis aus dir.“
„Gut, na wenn das so ist …“ Silas packt mich und gibt mir einen Zungenkuss auf offener Straße. Ich erschrecke und schiebe ihn instinktiv weg. Das war nicht die Reaktion, die er wollte.
„D-Das war- …“
Er unterbricht mich.
„Das Thema ist beendet, Mio. Lauf zu deinem Bruder und seinem Laufburschen zurück und lebe weiter in deren Schatten. Ich wünsch dir alles Gute.“
Silas wendet sich ab und hinterlässt ein sehr schlechtes Gefühl in mir. Ich merke, dass ich nicht will, dass er geht. Automatisch bewegen sich meine Füße. Ich laufe ihm hinterher. Als Raxia das bemerkt, dröhnt ihre Stimme in meinem Kopf.
x|Was hast du vor?!|x, fragt sie wütend.
x|Ich pass auf mich auf! Bis dann.|x
Sobald ich das denke, weiß ich, dass Raxia das nicht aufhalten wird. Prompt steht sie nach einer Teleportation vor mir. Ich renne in sie hinein und wir fallen durch den Schwung um. Silas hört den Krach. Er bleibt stehen und wird Zeuge, wie ich Raxia von mir runterschiebe und sie anschreie.
„Ich habe es satt, dein Werkzeug zu sein! ICH entscheide, wann es zu Ende ist!“, rufe ich.
„Du kannst nicht vor deinem Schicksal davonlaufen!“
„Nein, aber vor dir!“
„Mio!“
Die Entscheidung ist gefallen. Ich wende mich von ihr ab und renne zu Silas. Er begreift, dass wir schnell weitergehen müssen, damit Raxia aufgibt.
x|Das nehme ich dir wirklich übel!|x, höre ich sie in Gedanken sagen, bevor ich meinen Geist abschirme und hoffe, dass das auch als Lebender funktioniert.

Silas und ich gehen in seine Wohnung. Es sind einige Meter und mir wird ziemlich kalt, bis wir endlich unser Ziel erreichen.
„Willst du was trinken?“, fragt er.
Das sind die ersten Worte, die er seit dem Streit mit Raxia zu mir sagt. Dankend nicke ich und setze mich auf das Sofa. Sokrates, Silas’ Kater, schaut zu mir auf. Scheinbar störe ich ihn, denn er springt auf den Boden und rollt sich auf dem Bett zusammen.
Silas kommt mit einer heißen Tasse Kakao zurück.
„Danke“, sage ich, als er sie mir gibt und sich mit einer eigenen Tasse neben mich setzt. Dann herrscht Stille. Ich nehme einen zaghaften Schluck und fühle, wie mir gleich wärmer wird.
„Du wolltest mir etwas erklären“, sagt Silas schließlich.
„J-Ja …“, erwidere ich zögernd und versuche die richtigen Worte zu finden. „Ich-Ich habe an Amerika keine schönen Erinnerungen. Es gab da jemanden, der mir zugesetzt hat, um es einfach auszudrücken. Mir fällt es deswegen schwer, Nähe zuzulassen.“ Mein Blick huscht verunsichert in Silas’ Richtung. Er wirkt ungeduldig. „Ich mache kein Geheimnis aus dir. Wirklich nicht. Aber ich bekomme seit besagtem Vorfall immer Angst, wenn mir ein Mann zu nahekommt. Deswegen bin ich vorhin so erschrocken, als du mich so unvorbereitet geküsst hast.“
Silas stellt die Kakaotasse weg und nimmt mir danach meine aus der Hand. Als sie neben seiner auf dem Couchtisch steht, beugt er sich zu mir rüber. Ich fühle mein Herz laut schlagen und bemerke den Angstschweiß, der mir den Nacken hinabläuft. Ich habe Gänsehaut, während ich Silas’ musterndem Blick standhalten muss.
„Ist dieser Typ, der dir in Amerika so zugesetzt hat, jetzt in Deutschland? Hat die Ziege vorhin von ihm und nicht von deinem Bruder gesprochen?“, fragt er.
Ich nicke und nehme an, dass Silas mir glaubt. Er lehnt sich seufzend zurück und massiert sich die Schläfen. Zögernd lege ich meine Hand auf sein Bein, damit ich seine Aufmerksamkeit zurückbekomme.
„Mein Bruder hat nichts gegen dich persönlich. Er macht sich nur Sorgen. Genau wie Raxia.“
Silas lacht sarkastisch auf. „Sorgen machen nennst du das? Die sperren dich ein. Das ist nicht mehr normal. Ich habe keine Lust wieder zwischen die Fronten zu geraten und mir von deinem Bruder Eine zu fangen. Sorry, Mio. Es ist gut, dass du mir gegenüber endlich ehrlich bist, aber auf so eine komplizierte Sache habe ich keine Lust.“ Er steht auf und holt sein Handy aus der Jackentasche.
„Wen rufst du an?“, frage ich besorgt.
„Die Taxizentrale, damit du nach Hause kommst.“

Silas Antwort war eindeutig. Ich bin ziemlich niedergeschlagen, als ich im Taxi sitze, das mich nach Hause bringen soll. Soweit lasse ich es allerdings nicht kommen.
„Können Sie mich bitte hier rauslassen?“, frage ich, als sich der Supermarktparkplatz zu unserer Rechten ankündigt. Der Taxifahrer kommt meiner Bitte nach. Ehe ich mich versehe, stehe ich wieder in der Kälte und trotte über den leeren Parkplatz, bis ich plötzlich einen Schrei höre. Sofort halte ich an und merke, wie mir ganz komisch wird.
„Hilfe!“, schreit die Frauenstimme wieder. Sie scheint von der Tankstelle auf der anderen Straßenseite zu kommen. Zögernd ändere ich meine Richtung und überquere die Straße. Es sind um die Uhrzeit nicht mehr viele Menschen unterwegs, was die aktuelle Situation nicht gerade sicherer macht.
„Hilfe! Polizei!“, ruft die Frau unentwegt. Da ihre Stimme lauter wird, scheint meine Vermutung, dass sie bei der Tankstelle ist, zu stimmen.
‚Ob ich dem Tankwart Bescheid geben soll?‘, denke ich, bis ich bemerke, dass die Tankstelle geschlossen hat. ‚Klar, der hätte sonst schon die Polizei gerufen.‘
Meine Schritte werden langsamer, obwohl die Frau ganz in der Nähe zu sein scheint.
„Nein! Weg! Hilfe!“
Mit weichen Knien halte ich an. Ich stehe an der Gebäudeecke hinter der sich der dunkle Hinterhof zur Tankstelle befindet, an den die Waschstraße angrenzt. Wenn ich richtig höre, ist die Frau auf dem Hinterhof. Ich muss nur noch ein paar Schritte gehen, dann kann ich ihr helfen. Aber meine Füße bewegen sich nicht. Ich zittere am ganzen Körper.
‚Beweg dich!‘, denke ich und merke, dass meine Angst stärker als meine Nächstenliebe zu sein scheint. Ich komme keinen Zentimeter voran. Stattdessen laufen mir ein paar Tränen die Wange runter, weil ich mich an Pirks Folter und meine Schreie, die damals auch niemand gehört hat, erinnere.
„Hilfe! Zu Hilfe!“ – Die Frau klingt immer verzweifelter. Ich weiß, was sie gerade durchmacht. Umso schlimmer ist es, dass ich ihr nicht helfe.
‚Los! Geh weiter!‘, denke ich. Der innere Druck wird immer größer, bis ich es tatsächlich schaffe, die Kontrolle über meinen Körper zurückzuerlangen. Ein markerschütternder Schrei der Frau gibt mir den letzten Tritt. Ich biege um die Ecke und versuche schnell mit den Augen die Lage zu erfassen, damit ich reagieren kann. Ich suche die Frau, die ich auf dem Boden liegend unter einem gefährlichen Kerl erwarte – doch da ist nichts. Der Hinterhof der Tankstelle ist leer. Und schlagartig hören auch die Schreie auf. Es ist totenstill.
‚Das kann nicht sein‘, denke ich und zweifle an meinem Verstand. ‚Träume ich? Bin ich in dem Taxi eingeschlafen?‘
Plötzlich packt mich jemand von hinten und reißt mich zu Boden. Mir bleibt vor Schreck die Luft weg. Ich will mich wehren, aber ehe ich mich versehe, liege ich unter jemandem und kann mich durch sein Gewicht nicht mehr bewegen.
„Willkommen zu Hause, mein Püppchen. Ich freue mich, dich endlich wieder zu haben“, flüstert Pirks Stimme in mein Ohr und jagt mir eine Heidenangst ein. Noch ehe ich seine Anwesenheit richtig begreifen kann, schlägt er mich bewusstlos.

Als ich wieder zu mir komme, finde ich mich in einem Bett wieder. Zuerst erkenne ich meine Umgebung nicht, aber als ich mich aufrichte und das Tagebuch auf dem Schreibtisch entdecke, das ich als Jugendlicher geführt habe, ändert sich alles. Ich muss feststellen, mich in meinem alten Kinderzimmer zu befinden. Geschockt rücke ich bis an die Wand und versuche zu verstehen, wie das möglich ist.
‚Es kann nur ein Traum sein‘, denke ich, bis es plötzlich an der Tür klopft. Mir schnürt sich vor Aufregung die Kehle zu. Mit aufgerissenen Augen starre ich zum Ausgang und höre erneut ein Klopfen.
„H-Herein“, stottere ich und schlucke stark, als die Klinke sich nach unten bewegt. Knarrend öffnet sich die Tür und eine Frau tritt ein. Sie trägt eine Schürze und hat schulterlange rote Haare. Mein Brustkorb krampft sich schmerzvoll zusammen, als ich sie erkenne. Mir kommen die Tränen.
„Mama“, schluchze ich und kann nicht glauben, dass sie vor mir steht.
Ein Lächeln ziert ihre Lippen, als sie ihre Hand nach mir ausstreckt und mir andeutet, zu ihr zu kommen. Obwohl ich nichts lieber täte, als mich an sie zu kuscheln, hält mich etwas davon ab. Mamas Blick wirkt enttäuscht. Sie lässt den Arm sinken.
„Du bist tot“, presse ich mit tränenerstickter Stimme heraus, um mir selbst zu beweisen, dass ich träume. Aber Mama lässt nicht locker. Sie hebt erneut die Hand und will, dass ich zu ihr gehe. Als ich schweren Herzens den Kopf schüttle, bebt plötzlich der Boden. Ich kralle mich ängstlich am Bettlaken fest und starre meine Mama an. Ihr Körper verändert sich. Sie kreischt. Ihre Hände bohren sich in ihre Frisur und sie lehnt sich nach vorn, während das Beben stärker wird.
„Das soll aufhören!“, rufe ich. „Mama, bitte! Mach, dass es aufhört!“
Sie kreischt und windet sich im Türrahmen, während um uns herum mein Zimmer in sich zusammenfällt. Zurück bleibt das Bett, auf dem ich sitze, und Mama, deren Aussehen sich verändert hat. Die Schürze hängt in Fetzen ihren schwarzen, verbogenen Körper herunter. Ihre Beine und Arme sind doppelt so lang wie vorher und ihr Kreischen klingt wie das eines Dämons. Mir bleibt fast das Herz stehen, als mich ihr Blick aus den toten Augen trifft und sie sich in abgebrochenen Bewegungen mit den entstellten Gliedmaßen einen Weg über die Schutthaufen zu mir bahnt. In meiner Panik trete ich nach ihr, um sie mir vom Leib zu halten.
„Böse Puppe! Schmutzige Puppe!“, kreischt sie so laut, dass meine Trommelfelle fast zerreißen. Ich muss mir die Ohren zuhalten und bin für einen Moment unaufmerksam. Mama bekommt mich zu fassen. Ihre Krallen bohren sich durch meine Beine und zerren mich vom Bett. Ich falle. Das Zimmer verschwindet – der Boden verschwindet. Ich werde von ihr immer tiefer durch die Dimension gezerrt, bis ich so hart aufschlage, dass mir die Luft wegbleibt.
Keuchend drehe ich mich auf die Seite und huste. Ihre Klauen ziehen sich zurück. Ich bin in absoluter Dunkelheit, als meine Sinne wieder halbwegs funktionieren. Zitternd taste ich den Boden um mich herum ab, bis eine ungeheure Kälte hinter meinem Rücken auftaucht. Ich weiche ihr aus und stoße gegen etwas. Ich vermute den entstellten Körper meiner Mutter, aber es sind keine Klauen, die sich in mein Fleisch bohren, sondern zwei menschliche Hände, die mich berühren. Sie streicheln mich und fühlen sich im Vergleich zu dem Rest von mir warm an. Plötzlich schimmert ein schwaches Licht in der Dunkelheit. Ich muss feststellen, dass mein ganzer Körper von einer Eisschicht überzogen ist. Durch den Glanz kann ich die groben Umrisse des Fremden erkennen, der mich streichelt. Seine Hände ruhen auf meiner Brust, bis sein Gesicht mir so nahekommt, dass ich ihn erkennen kann. Es ist ein Mann mit langem silbernem Haar, das über sein schmales Gesicht fällt und seine Augen verbirgt. Sein Lächeln reicht bis zu den Ohren, aber wird von der Zunge unterbrochen, die sich zwischen den eingerissenen Lippen hervorschiebt. Sie fühlt sich wie ein Eiswürfel an, als sie meinen Mund ableckt und sich den Weg in mein Innerstes bahnt. Eis bildet sich in meinem Mund. Es kriecht meinen Hals hinab und gefriert meinen Körper von innen. Ich ersticke. Doch bevor ich dem Tod ins Auge sehen muss, verschwindet der Typ mit den silbernen Haaren und mit ihm die Kälte. Ich wache auf dem Hinterhof der Tankstelle auf und sehe Milan, der über mir kniet. Er hält mir die Nase zu und wenn ich mich nicht irre, atmet er in meinen Mund. Als er merkt, dass meine Augen offen sind, lässt er von mir ab. Ich drehe mich hustend auf die Seite, bis ich vor Erschöpfung wieder das Bewusstsein verliere.

* * * Milan * * *

Es dauert nicht lange, bis die Rettungskräfte nach der Explosion an der Konzerthalle eintreffen. Sie sind dabei, die chaotische Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Caro und ich brechen auf. Wir fahren nach Hause, um dort auf Raxia und Mio zu warten. Aber sie sind bis jetzt noch nicht aufgetaucht.
„Ich halte das nicht mehr aus!“, sage ich und schnappe mir im Flur meine Jacke. Caro kommt mir besorgt nachgelaufen.
„Milan, bitte! Du musst dich ausruhen! Du hast so viel giftigen Rauch eingeatmet- …“
„Mir geht’s blendend“, unterbreche ich sie und gebe ihr einen Kuss. „Geh schlafen. Ich komme wieder, wenn ich Emilio gefunden habe.“
„Aber Raxia- …“
Ich höre Caro nicht zu. Die Wohnungstür fällt laut hinter mir ins Schloss, bevor ich schnellen Schrittes die Stufen hinabrenne, bis ich keine Luft mehr bekomme und an das Geländer gelehnt huste. Dunkle Sprenkel landen auf meinem Handrücken. Ich schenke ihnen keine Beachtung und setze die Suche nach Mio fort. Da ich keine Ahnung habe, wo ich ihn finden soll, laufe ich zurück zur Konzerthalle, um die Umgebung abzusuchen. Zufällig treffe ich dabei auf Raxia. Sie steht neben einer Bar und wartet. Ich bin wütend, als ich Zeuge ihrer Untätigkeit werde, während Mio vielleicht in Gefahr schwebt. Verärgert greife ich mir Raxias Arm.
„Wieso stehst du hier rum?“, frage ich und muss wieder husten. Sie verzieht das Gesicht und fängt plötzlich an zu heulen. Fassungslos lasse ich von ihr ab.
„G-Geht es Mio gut?“, frage ich ängstlich.
„Natürlich geht es ihm gut!“, schnauzt sie. „Viel zu gut! Dieser Idiot!“
Ich verstehe die Welt nicht mehr.
„Wo ist er?“, frage ich und sehe zum Eingang der Bar, über dem Kaffeehäuschen steht.
„Was weiß ich!“, schimpft sie und wischt sich die Tränen weg. Dabei fällt mir ihre durchsichtige Hand auf. Erschrocken halte ich Raxia fest.
„Du löst dich auf“, sage ich.
„Na und?“, murrt sie und befreit sich aus meinem Griff, aber ich lasse nicht locker.
„Sag mir wo Mio ist und geh ins Nichts, um deine Energie aufzuladen. Wir sind verloren, wenn du zerstreut wirst.“
„Der kommt nicht zurück! Er ist lieber bei seinem Silas“, zischt sie und mischt den deutlichen Geschmack von Eifersucht ihrer Aussage bei. Innerlich muss ich grinsen, aber ich bin schlau genug, Raxia das nicht unter die Nase zu reiben.
„Ich gehe zu Silas’ Wohnung und hole Mio. Wir treffen uns zu Hause, sobald du wieder komplett zu sehen bist.“
„Mach halt! Es hört doch eh keiner auf mich.“

Silas wohnt nicht weit von der Bar entfernt. Ich bin trotzdem völlig außer Atem, als ich ankomme. Ein paar Hustenanfälle später drücke ich auf den Klingelknopf.
„Ja?“, fragt Silas durch die Gegensprechanlage.
„Ich würde gern mit Mio sprechen“, sage ich und höre ihn wütend schnauben.
„Mir reicht’s mit euch! Mio ist nicht hier. Lasst mich endlich in Ruhe!“
Es knackt in der Leitung. Ich seufze.
‚Da hat Mio ja ordentlich Ärger am Hals‘, grüble ich und bin keinen Schritt weiter als vorhin.
Nachdenklich gehe ich die Straßen um Silas Wohnung herum ab, aber werde nicht fündig. Mein Husten wird dafür umso schlimmer. Ich merke die Erschöpfung.
‚Vielleicht hätte ich doch zu einem Arzt gehen sollen. Ach, was soll’s. Ich rufe mir ein Taxi und haue mich zu Hause ins Bett. Vielleicht ist Mio schon längst da.‘
Als mir der Gedanke kommt, rufe ich gleich nach der Taxizentrale Caro an. Sie klingt besorgt, als sie abnimmt.
„Geht’s dir nicht gut?“, fragt sie sofort.
„Ich komm nach Hause. Ist Mio vielleicht schon gelandet?“
„Nein. Hast du etwas herausgefunden?“
„Leider nicht. Aber weiterzusuchen bringt nichts. Ich komm nach Hause.“
„Soll ich dich abholen?“
„Geh ins Bett. Ich habe keine Lust, dass dem Baby was passiert, weil du zu viel Stress hast. Bis gleich.“
Bevor Caro antworten kann, lege ich auf. In meinem Bauch sammelt sich ein seltsames Gefühl. Irgendwie habe ich eine böse Vorahnung. Dementsprechend beunruhigt bin ich auf dem Weg nach Hause. Noch dazu hat der Taxifahrer die Heizung an und die trockene Luft lässt mich andauernd husten.
„Das hört sich nicht gut an“, meint der Fahrer. „Soll ich Sie in die Notaufnahme bringen?“
„Nein, passt schon.“
„Hm, eine seltsame Nacht heute. Vorhin habe ich einen Jungen von demselben Haus abgeholt, wie Sie gerade. Der wollte beim Supermarkt rausgelassen werden, obwohl der längst geschlossen ist. Er wirkte ziemlich durcheinander. Und Sie husten sich die Seele aus dem Leib und wollen zu keinem Arzt – ist da irgendeine Gras-Party in dem Haus zu Gange?“
„Meinen Sie mit Junge ein Kind oder einen jungen Typen?“, frage ich hellhörig und übergehe die Bemerkung des Fahrers.
„Der war bestimmt nicht älter als siebzehn“, antwortet er.
„Hatte er braune Haare und blaue Augen?“
„J-Ja. Dann waren Sie also wirklich gemeinsam auf einer Party.“
„Wir ändern die Route! Ich will zu dem Parkplatz.“
„A-Aber mit Ihrem Husten- …“
„Sofort, wenn ich bitten darf! Der Typ schuldet mir Geld.“
Das reicht dem Fahrer als Begründung. Er bringt mich zu dem leeren Parkplatz. Ich verliere keine Zeit und setze die Suche nach Mio fort, nachdem ich bezahlt habe. Jedoch muss ich bald feststellen, dass er nirgends zu sehen ist und ich auch keine Ahnung habe, warum er bei dem Parkplatz raus wollte. Genervt will ich mir eine Zigarette anzünden.
„Ist nicht wahr“, knurre ich, als ich die leere Schachtel in der Hand halte. „Scheiße passiert immer gebündelt. Fuck – was jetzt?“ Ich lasse den Blick in die Ferne schweifen und entdecke eine Tankstelle. Sie sieht dunkel aus, aber ich habe die Hoffnung, dass es einen Nachtschalter gibt. Zügig überquere ich die Straße und werde enttäuscht. Alles dicht.
„Du brauchst wohl kein Geld, was?“, rede ich mit dem nicht vorhandenen Tankwart und trete gegen die geschlossene Schiebetür. Danach muss ich husten und schätze, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist, jetzt keine zu rauchen. Genervt schiebe ich die Hände in die Taschen und überlege, wie ich auf dem schnellsten Weg nach Hause komme. Auf Taxifahren habe ich keine Lust mehr.
‚Pinkeln muss ich auch … Ach, Mann. Die Freude über die Verlobung ist völlig verdorben.‘
Ich spähe mein Umfeld aus und hebe den Blick. Eine Überwachungskamera hängt unter dem Dach der Tankstelle, sodass ich den Hinterhof als Ort erwähle, mich zu erleichtern. Ich biege um die Ecke. Etwas entfernt steht ein unschuldiger Busch, der mir als geeignet erscheint. Ich gehe auf ihn zu und achte nicht auf den Weg, obwohl es verflixt dunkel ist. Plötzlich bleibe ich an etwas hängen und falle hin.
„Au! Was für ein Scheißtag“, knurre ich und muss wieder husten. Danach schnappe ich mir das Handy und leuchte mit der Taschenlampe den Weg aus. Als ich sehe, über was ich gefallen bin, wird mir eiskalt.
„Scheiße, Mio!“, rufe ich entsetzt, rapple mich hoch und knie mich neben ihn. Er ist bewusstlos. Das Handy landet unbeachtet auf dem Boden, während ich Mio schüttle und versuche, ihn aufzuwecken. Als er nicht reagiert, bekomme ich ziemliche Angst. Mein Finger huscht an seinen Hals. Ich fühle keinen Puls. Mios Brustkorb bewegt sich auch nicht.
„Tu mir das nicht an! Wag es dir, jetzt zu sterben!“
Verzweifelt rufe ich einen Krankenwagen und mache mich danach an die Wiederbelebung. Denken kann ich in dem Moment an gar nichts mehr. Ich funktioniere irgendwie, bis ich nach einem Atemzug plötzlich sehe, dass Mios Augen offen sind. Ich lasse von seinem Mund ab und falle auf den Hintern. Mir kommen die Tränen. Er dreht sich auf die Seite und hustet, bevor er wieder ohnmächtig wird und endlich der Krankenwagen eintrifft.

Wir landen beide in der Notaufnahme. Meine leichte Rauchvergiftung ist schnell behandelt, während Mio zur Beobachtung die nächsten Tage bleiben muss. Er ist nicht sehr gesprächig, nachdem er sein Bewusstsein zurückerlangt hat. Ich besuche ihn, bevor Caro mich nach der beschissenen Nacht aus dem Krankenhaus abholen kommt.
„Die Ärzte haben keine Ursache für deinen Herzstillstand herausgefunden. Laut ihren Angaben hattest du nicht mal einen“, erkläre ich.
Mio liegt schweigend im Bett und sieht ganz blass aus. Er hat tiefe Augenringe und seine Wangen sind eingefallen. Ich habe echt Angst um ihn.
„Sie schieben es auf einen Kreislaufzusammenbruch und sind der Meinung, ich hätte mir aus Sorge deinen Zustand eingebildet“, erkläre ich weiter und seufze danach. „Die haben mir kein Wort geglaubt. Ich weiß jetzt, wie du dich damals gefühlt hast.“
Entschuldigend sehe ich Mio an. Sein Gesicht zeigt keine Regung.
„Willst du nach Hause?“, frage ich. „Du kannst dich selbst entlassen und ich nehme dich mit.“
Ich halte seine Hand. Die Infusion, an die er angeschlossen ist, stört ein bisschen, aber wenigstens kann ich ihn fühlen.
„Mio, bitte sag etwas. Ich weiß, dass du nicht einfach wegen Stress oder sowas zusammengebrochen bist. Wer hat dir das angetan? War es Pirk? Ist irgendetwas bei Silas passiert? Oder lag es an Raxia?“
„Nein“, flüstert er und erwidert schlagartig meinen Händedruck. Mir wird eiskalt, als ich seinen Blick dazu sehe. So große Furcht hat Mio noch nie ausgestrahlt. Irgendwie gehen durch unsere Berührung seine Gefühle auf mich über. So eine ähnliche Situation hatten wir schon einmal, als er nach Pirks erstem Angriff im Krankenhaus lag und ich ihn berührte. Ich fühlte damals seinen Schmerz und gerade spüre ich seine tiefe Verzweiflung, die auch mir die Tränen in die Augen treibt.
„Pirk ist nicht länger unser schlimmster Feind“, schluchzt Mio und zittert am ganzen Körper. Die Maschine, an die er angeschlossen ist, piept wie verrückt. Es dauert nicht lange, bis ein besorgter Krankenpfleger ins Zimmer geeilt kommt. Ich lasse Mio los und wische mir schnell über die Augen. Dass er heute aus dem Krankenhaus rauskommt, können wir nach dem Anfall vergessen. Ich fahre allein mit Caro nach Hause.
Als ich sie heute Morgen nach den Untersuchungen anrief, war sie gerade aufgewacht und hatte bemerkt, dass ich nicht wie versprochen nach Hause gekommen war. Sie macht mir auf der Heimfahrt große Vorwürfe. Ich bin nicht böse, dass sie, nachdem sie mich daheim abgesetzt hat, gleich starten muss, um Bellchen noch pünktlich von ihrer Oma abzuholen. Vorher gibt Caro ihren Ärger aber noch ein letztes Mal kund.
„In Zukunft grenzt du mich aus euren Problemen nicht mehr aus, ansonsten kannst du eine Hochzeit vergessen!“, schimpft sie und stemmt die Hände in die Hüften. Ich lege schwermütig mein Gesicht an ihren Bauch und schließe die Augen.
„Entschuldige“, flüstere ich und halte Caro fest. Sie seufzt und streichelt mir durch die Haare.
„Ich mache mir doch nur Sorgen, Milli. Mio ist dein Bruder und damit gehört er auch zu meiner Familie. Ich möchte nicht, dass es euch schlecht geht.“
Ich umarme sie.
„Danke, Caro.“
Sie seufzt erneut, lässt mich kurz verweilen, aber verabschiedet sich dann rasch, weil sie sonst zu spät kommt.
„Ruh dich aus. Ich melde mich, sobald ich kann“, sagt sie und schließt hinter sich die Tür. Brav will ich mich ins Bett legen, aber Raxia kommt mir in die Quere. Sie steht neben mir, als ich mich gerade zugedeckt habe.
„Muss das sein?“, knurre ich und ziehe die Decke über meinen Kopf. Raxia rafft sie zurück.
„Mio ist nicht hier. Ich kann seine Aura nicht fühlen. Hast du ihn etwa nicht gefunden?“, fragt sie.
„Doch, ich habe ihn gefunden. Er war aber nicht bei Silas, wie du angenommen hattest.“
„Hä? Er wollte sich doch unbedingt mit ihm unterhalten.“
In kurzen Sätzen erzähle ich Raxia, was geschehen ist. Sie wird immer blasser. Irgendwann sitzt sie neben meinem Bett und lehnt mit dem Kopf gegen die Matratze.
„Hoffnungslos“, flüstert sie.
Ich haue ihr mein Kissen ins Gesicht.
„Reiß dich zusammen!“, sage ich sauer. „Mio hat gekämpft, sonst wäre er nicht mehr da. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben und sollten uns ganz schnell etwas überlegen, unseren neuen Feind aufzuspüren.“
Raxia funkelt mich wütend an, doch sie schluckt ihren Ärger hinunter. Zu meiner Überraschung gibt sie mir sogar Recht.
„Ich gehe zu Mio und sorge dafür, dass ihm im Krankenhaus nichts passiert. Vielleicht kann ich mit seinen Erinnerungen herausfinden, wer ihm das angetan hat.“
„Jetzt klingst du wieder wie unsere rothaarige Zicke“, antworte ich und erhalte eine Kopfnuss, bevor Raxia sich ins Krankenhaus zu Mio begibt.

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Keys of Zodan

Wiederkehr Teil 3

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Leseprobe – Band 2

– Milan –

„Stopp! Ich komm nicht mehr mit. Was hat das alles zu bedeuten? Auf was willst du hinaus?“, frage ich, aber bekomme keine Antwort, weil es in der Wohnung unter uns plötzlich kracht. Der Boden wackelt.
„Scheiße“, rufe ich erschrocken, als das Haus immer schiefer wird und wir Richtung Fensterfront rutschen.
„Was ist das?“, fragt Mio und hält sich an mir fest. Auch Neven rutscht zu uns.
„Das Haus scheint einzustürzen. Teleportier’ uns raus, Mio“, fordert er.
Keine Sekunde später befinden wir uns abseits des verlassenen Hochhauses, dass in sich zusammenkracht. Staub wirbelt auf. Die Luft verfärbt sich schwarz und es entsteht ein Höllenlärm. Der Verkehr auf den Straßen kommt zum Erliegen, da die Trümmerteile eine Weiterfahrt verhindern.
„Warum passiert das, Neven?“, frage ich.
„Wir müssen schnell-…“ – Weiter kommt er nicht. Direkt neben uns schlägt ein Energiegeschoss ein und hinterlässt einen Krater im Boden. Wir konnten knapp ausweichen und sehen unserem Feind jetzt ins Angesicht. Es ist kein Schatten, sondern ein hübsches Mädel.
„Drei Verräter“, zählt Fatums Soldatin. „Wo ist die Erste Dienerin?“
„Aurelia Faye“, keucht Neven.
„Lass uns in Ruhe!“, fordere ich wütend. „Wir haben nichts mit dir zu tun!“
„Ihr habt den Meister verraten. Ich bin hier, um euch zu richten und den Key zurückzuholen.“
Ich stelle mich vor Mio.
„Das ist meiner. Daraus wird nichts, Schnecke.“
„Stirb!“ Das Gespräch ist beendet. Aurelia schwingt ihren Schlaghammer und erschafft den nächsten Krater im Boden. Uns bleibt nur die Flucht.
x|Mio, wir müssen weg. Teleportier uns so weit weg wie möglich.|x, höre ich Nevens Stimme in meinem Kopf.
Mio antwortet ihm.
x|Ich kann nicht. Ich verbrauche zu viel Energie und bin zu erschöpft.|x
x|Du darfst nicht nur deine Kraft beim Teleportieren nutzen. Verwende auch Milans und meine, so wie es Raxia immer macht.|x
x|Ausweichen!|x
Ich reiße die beiden mit mir, damit wir nicht von Aurelias nächstem Angriff erwischt werden. Der Aufprall ihres Hammers lässt einen Hydranten platzen. Das Wasser schießt ihr ins Gesicht, sodass sie nicht sieht, wo wir uns verstecken. Geduckt bleiben wir hinter dem Müllcontainer hocken.
x|Könnt ihr sie nicht ablenken und ich greife von hinten an?|x, frage ich.
x|Das ist zu riskant. Aurelia hat eine starke Abwehr und ist gegen physische Angriffe immun, nutzt sie ihren Schlaghammer.|x
x|Wieso sind auf einmal alle immun gegen meine Angriffe? Dann baller ihr halt deine Magie rein, Neven. Mio und ich lenken sie ab.|x
x|Uns wird wohl nichts anderes übrig bleiben.|x
x|Sie darf aber nicht sterben|x, wendet Mio ein.
Ich nicke ihm zu.
x|Wir sind die Guten. Also los. |x, antworte ich.
Aurelia sieht sich mit den grünen Augen suchend nach uns um. Die Chance nutzen wir und stürzen uns auf sie, damit Neven unbemerkt seinen starken Magieangriff mit seinem Stab vorbereiten kann. Aurelia fällt auf die Taktik rein. Sie stürmt mit dem Hammer auf uns los, bis Neven ihr eine dreifache Salve in den Rücken feuert. Sie schreit auf. Ihre Waffe verschwindet und sie landet ohnmächtig mit dem Gesicht im Dreck.
‚Das ging schnell‘, denke ich erleichtert.
„Wir müssen weg. Die Rettungskräfte sind unterwegs“, erklärt Neven. Ich habe die Sirenen ebenfalls gehört. Hurtig werfe ich mir die bewusstlose Aurelia über die Schulter

Wir haben Aurelia gefesselt und sind in einem Kanal untergekommen. Nun beraten wir, wie es weitergeht.
„Wenn wir sie gehen lassen, verpetzt sie uns an die Echse“, vermute ich.
„Wenn wir sie hier lassen, verliert sie Energie und löst sich irgendwann auf“, sagt Mio.
„Nehmen wir sie mit, behindert sie uns“, erklärt Neven.
Ratlos sehen wir uns an.
„Ihr Verräter solltet euch was schämen!“, meckert Aurelia, während sie versucht, sich von den Fesseln zu befreien. „Ihr verbündet euch mit dem Feind!“
Wir ignorieren sie.
„Was machen wir, wenn sie jemand suchen kommt? Hat sie auch einen Teamkameraden, Neven?“, frage ich.
Er hebt die Schultern.
„Eigentlich nicht. Aurelia ist stark und kämpft allein. Ich weiß aber nicht, inwiefern Fatum die Trupps verändert hat, seit wir geflohen sind.“
„Mist. Was machen wir nur?“
„Ihr werdet bis in alle Ewigkeit in der Quälerei schmoren, ihr elenden Verräter!“, sagt Aurelia feindselig.
„Kannst du mal leise sein?“, knurre ich. „Wir denken nach.“
„Fatum wird über euch richten!“
„Wie nervig.“
„Und wenn wir sie laufen lassen?“, fragt Mio. „Fatum weiß, dass wir hier sind. Er hat keinen Vorteil, kehrt Aurelia zu ihm zurück.“
„Spinnst du? Wenn wir sie laufen lassen, greift sie uns zu einem anderen Zeitpunkt wieder an. Ich hab keinen Bock, wie ’ne zerquetschte Fliege an ihrem Hammer zu kleben.“
„Sei es drum“, seufzt Neven und geht zu Aurelia, um ihr die Fesseln zu öffnen.
Ich will ihn aufhalten: „Spinnst du?! Hast du nicht gehört, was ich gerade gesagt habe?“
Neven setzt sein Handeln unbeirrt fort.
„Aurelia, sag Meister Fatum, dass wir in der Menschenwelt sind und den Zweiten Key suchen. Sobald wir ihn haben, werden wir alles daran setzen, die Prophezeiung zu erfüllen.“
„Warum sollte ich euch Verräter nicht an Ort und Stelle töten?“, zischt sie und geht auf Abstand, sobald Neven die Fesseln gelockert hat.
„Deine Energie reicht nicht für einen weiteren Angriff“, erklärt er ruhig und deutet auf ihre fehlenden Füße. „Deine Angriffe verbrauchen zu viel Energie in der Menschenwelt.“
Aurelia verzieht wütend das Gesicht. Im Trotz beschwört sie ihren Hammer. Prompt werden ihre Arme und Beine transparent.
„Pass auf, Mädel, bevor du tatsächlich verschwindest“, warne ich sie. „Wir sind nicht deine Feinde. Wenn uns jemand fürchten sollte, dann die verdammten Drachen.“
Wütend sieht sie mich an und scheint zu überlegen, ob sie alles auf eine Karte setzt und für ihre Überzeugung stirbt, oder ob es klüger ist, aufzugeben. Zum Glück entscheidet sie sich für Nummer Zwei. Der Energiehammer verschwindet.
„Das werdet ihr bereuen, Verräter. Beim nächsten Mal gewinne ich.“
Sie flieht aus unserem Versteck. Wir lassen sie entkommen. Erschöpft lehne ich mich gegen die Kanalwand.
„Scheißdreck. Jetzt wird es nicht lange dauern, bis Fatum uns noch mehr Soldaten auf den Hals hetzt. Was hast du dir nur dabei gedacht, Neven?“
„Mio, erinnerst du dich an das Portal, durch welches du mit dem Phantom-Schatten gewandert bist?“, lenkt er ab.
Mio hebt nachdenklich den Blick.
„Hm… ja. Das war bei einem Felsen in einem Wald in Amerika.“
„Teleportier uns dorthin. Ich habe eine Theorie.“
„Schon wieder?“, frage ich. „Du hast uns die Letzte noch nicht mal erklärt. Jetzt reisen wir rund um den Kontinent?“
„Ich helfe dir beim Regenerieren, Mio. Anschließend bringst du uns zu diesem Felsen. Vielleicht können wir das Portal benutzen.“
„Immer diese ‚Vielleichts‘. Mann, das nervt.“
„Okay“, willigt Mio ein und ignoriert meine Nörgelei.
„Umso eher wir Raxia helfen können, desto besser“, sagt er.
„Dann leg dich hin. Ich werde dich in Regenerationsschlaf versetzen. Das kann ich nicht oft anwenden, also nutz die Zeit. In zehn Minuten solltest du fit genug sein, um uns mit deiner Technik zu teleportieren.“
Gesagt, getan. Meine Meinung wird außer Acht gelassen, aber was soll’s. Ich blicke eh nicht durch und solange die Hoffnung besteht, dass wir Raxia helfen und nicht von Fatums Soldaten ermordet werden, bin ich dabei.

Schon bald befinden wir uns vor dem gigantischen Felsen in der Nähe von New York. Ich lege fasziniert den Kopf in den Nacken und starre in die Höhe.
„Ist das Ding riesig“, staune ich. Mio und Neven suchen derweil nach dem gehörnten Schädel im Gestein.
„Da du das Portal bereits benutzt hast und der Key bist, der den Weg vorgibt, solltest du es öffnen können“, erklärt Neven seine Vermutung.
Mio sucht eifrig weiter.
„Erklärst du uns, sobald wir Raxia haben, warum wir eine so besondere Generation der Key-Seelen sind, Neven? Wir wurden vorhin unterbrochen“, erinnere ich ihn.
„Ja, ich werde es euch in Ruhe erklären. Gewöhn dich solange an das Wissen, auch eine Key-Seele in dir schlummern zu haben.“
„Daran werde ich mich nie gewöhnen.“
Mio schreckt zurück. Er hat das Symbol gefunden.
„Perfekt“, strahlt Neven, als er das Leuchten hinter dem überfrorenen Felsen erkennt. „Füll unsere Energie auf, Mio. Ich verstärke unsere Abwehr mit meiner Magie und anschließend retten wir Raxia.“
„Endlich ein Plan, den auch ich kapiere“, grinse ich und warte ungeduldig, bis wir die Schattenwelt betreten.

„Hätte nicht gedacht, dass es einen schlimmeren Ort als das Nichts gibt“, knurre ich enttäuscht. Die Schattenwelt ist finster und unheimlich. Würde ein Kettensägenmörder hinter dem nächsten kahlen Baum hervorgesprungen kommen, wäre das keine Überraschung. Echt abartig, diese Gegend.
„Lasst uns Raxia schnell finden“, sage ich.
„Ich spüre sie dort hinten“, gibt Neven zu erkennen. Mio und ich folgen, vorbei an einer Wiese mit leuchtenden Blumen, die wohl das einzig Schöne an diesem hässlichen Ort sind.
Wir erreichen eine Höhle.
„Da drin muss sie sein“, mutmaßt Neven im Flüsterton.
„Hier ist es finster“, jammert Mio. „Da lauern bestimmt Fluchschatten.“
„Die hauen wir um“, versichere ich ihm. „Wir sind zu dritt und viel stärker als früher. Beiß die Zähne zusammen.“
„J-Ja.“
Die Höhle ist ein Labyrinth. Es gibt unzählige Gänge, die sich ineinander winden und irgendwie alle gleich aussehen. Wir haben uns bald verlaufen. Die Taktik, stur Raxias Energie zu folgen, ist nicht aufgegangen.
„Was machen wir jetzt?“, frage ich Neven.
Er sieht mich nachdenklich an.
„Findet ihr es nicht auch merkwürdig, dass wir uns in der Schattenwelt befinden und noch nicht einem einzigen Bewohner über den Weg gelaufen sind?“
„Hm, jetzt wo du es sagst…“
„Wir laufen sicher direkt in eine Falle. Oder sitzen bereits drin“, sagt Neven.
„Das fällt dir nicht früher auf?!“
„Milan, pscht. Schrei nicht so rum“, zischt er.
„Verdammt“, knurre ich. „Raxia, wo bist du? Ich hab keinen Bock mehr.“
Plötzlich schreit Mio. Seine Finger krallen sich in meinen Bauch, als etwas an ihm zieht.
„Ein Fluchschatten“, ruft Neven entsetzt. Ich fahre herum und halte Mio fest. Er ist wie ein Seil in der Luft gespannt.
„Wieso haben die es immer auf dich abgesehen?“, rufe ich wütend und fordere Neven auf, den Schatten anzugreifen. Er hat schon längst sein Ziel ins Visier genommen. Der Angriff sitzt. Der Fluchschatten explodiert und wir werden tiefer in die Höhle geschleudert. Meine Ohren klingeln, als ich mich aufrapple und Mio von mir runter schiebe.
„Alles ok?“, frage ich.
„Ja“, keucht er und bedankt sich. Auf einmal höre ich ein seltsames Geräusch.
„Hört ihr das auch?“, frage ich.
Mio sieht sich ängstlich um.
„Was ist das?“
„Unser Empfangskomitee“, meint Neven und in dem Moment tauchen unzählige Fluchschatten vor uns auf. Sie zeigen ihr Gesicht. Wir blicken in gruselige Totenköpfe, die ihre Kiefer weit aufgerissen haben und nach uns schnappen. In null Komma nichts sind wir zurück auf den Beinen und rennen schreiend vor ihnen davon. Sie treiben uns ins Herz der Höhle, bis wir uns in einem gigantischen Raum befinden, dessen Ende ich nicht einsehen kann.
„Was machen wir jetzt?“, rufe ich aufgeregt, während wir rennen. Die Fluchschatten umrunden und schneiden uns den Weg ab. Wir halten an und stellen uns Rücken an Rücken.
„Haltet sie auf Abstand. Sie dürfen uns nicht zu fassen bekommen!“, erklärt Neven.
Doch gerade als wir angreifen wollen, hören wir ein tiefes Stöhnen und die Fluchschatten schrecken zurück. Sie kreischen und verpuffen zu schwarzem Nebel, der von einer kalten Luft hinweggeblasen wird. Voller Furcht sehe ich nach oben zur Höhlendecke. Aus der Richtung kam der Wind. Zwei böse leuchtende Augen starren mich an. Mein Körper erstarrt. Ich glaub, ich mach mir gleich in die Hose.
„Herzlich willkommen“, raunt Malum höchstpersönlich. Der gigantische Drache mit den schwarzen Schuppen baut sich vor uns auf. Mio sinkt auf die Knie. Neven schluckt stark und mir klappt die Kinnlade runter, als ich diesem riesigen Vieh gegenüberstehe.
Malum ist der Wahnsinn. Kein Vergleich mit dem winzigen Fatum.
„Erst geht mir Fatums Hexe ins Netz, und jetzt der Erste Key. Heute muss mein Glückstag sein“, sagt der Drache.
Ich finde als Erster meine Sprache wieder: „Wo ist Raxia?“
„Habt ihr den langen Weg auf euch genommen, um sie zu retten?“
„Sag uns sofort, wo du sie versteckt hast!“
Malum lacht mich aus.
„Was passiert, wenn ich es nicht tue?“, höhnt er.
Ich packe mir Mio und halte ihm die Schneide meines Energieschwertes an die Kehle.
„Dann stirbt dein Key.“
x|Was tust du da?!|x, fragt Mio geschockt.
x|Spiel mit. Das muss echt aussehen.|x
„Denkst du im Ernst, ich bin so dämlich?“, lacht Malum.
Er nähert sich uns mit seinem riesigen Schädel. Ich kann ihm direkt ins Nasenloch gucken.
„Du würdest ihn niemals töten“, behauptet er.
„Sei dir da nicht so sicher.“
Malum zieht sich zurück.
„Überlasst ihn mir, dann gebe ich euch die Hexe und ihr könnt gehen“, bietet er an.
„Woher soll ich wissen, dass Raxia noch lebt?“
„Ihre Aura hat euch doch zu mir geführt, nicht wahr? Dann wird sie wohl noch am Leben sein – mehr oder weniger.“
„Ich will sie sehen.“
Malum prustet mir seinen Dampf ins Gesicht, bevor er den Schatten den Befehl erteilt, Raxia zu uns zu bringen. Kurz darauf taucht sie im schwarzen Nebel auf. Gefesselt und geknebelt liegt sie auf dem Boden. Neven eilt zu ihr, um sie zu befreien. Ich starre den Drachen wütend an, während ich Mio weiterhin als Geisel halte.
„Das büßt du!“, knurre ich.
„Gib mir den Key!“, verlangt er unbeeindruckt.
x|Liefert mich aus und flieht von hier|x, denkt Mio.
x|Würdest du nicht zittern wie Espenlaub, könnte ich dir dein Angebot regelrecht abnehmen. Nie und nimmer lass ich dich hier.|x
x|Ich will nicht, dass ihr auch noch wegen mir sterbt!|x
x|Spar dir den Mist. Entweder wir kommen hier alle raus oder keiner von uns.|x
Neven klinkt sich in unser Gespräch ein.
x|Die Decke, Milan. Versuch die Decke zum Einsturz zu bringen. Wenn Malum unter den Trümmern begraben wird, können wir fliehen. Er mag zwar wahnsinnig stark sein, aber seine Größe ist seine Schwachstelle, weil sie ihn langsam und unbeweglich macht.|x
Begeistert grinse ich Neven an. Er hält die bewusstlose Raxia im Arm und ist bereit.
„Was ist nun?! Gib mir den Key“, fordert Malum ungeduldig.
„Hier“, sage ich, nehme mein Schwert weg und schubse Mio in Malums Richtung. Er bleibt geschockt vor dem Drachen stehen, der sein Haupt erhebt und sein Maul aufreißt. Speichel tropft von den spitzen Zähnen auf Mio und durchweicht ihn. Schlotternd lässt er sich auf den Hintern fallen.
x|Jetzt, Milan!|x
Neven gibt mir das Zeichen. Ich nutze Malums Gier und seine damit verbundene fehlende Aufmerksamkeit meiner Person gegenüber. Ich bündle Energie und schieße sie Richtung Decke, während Neven mit Raxia so schnell er kann zum Höhlenausgang rennt.
Als Malum die herabstürzenden Gesteinsbrocken bemerkt, beginnt der Kampf. Er versucht mich davon abzuhalten, seine Höhle zu zerstören und hetzt mir die Fluchschatten auf den Hals. Sie kesseln mich ein. Ich nutze meine Energie und greife die Feinde an. Sie verpuffen, sobald ich sie getroffen habe, allerdings scheinen sie nicht weniger zu werden.
Neven kommt mir zu Hilfe. Er hat Raxia am Ausgang der Höhle abgelegt und feuert von der Position Magiebälle auf die Fluchschatten, doch selbst das lässt ihre Anzahl nicht schwinden.
Malum lacht.
„Jämmerlich! Ich werde euch vernichten, ihr schwachen Kreaturen!“
Der sinnlose Kampf gegen die Fluchschatten zehrt an meiner Kraft. Ihre Abwehr zu durchdringen ist unmöglich. Mir kommt Mio in den Sinn. Ich kontaktiere ihn telepathisch.
x|Mio, ich brauch dich. Kannst du die Viecher von außen brutzeln? Deine Key-Magie sollten sie nicht abwehren können.|x
Er reagiert verspätet, weil Malum ihn im Visier hat.
x|Ich kann nicht! Malum lässt mich nicht angreifen und selbst wenn – ich habe mich nicht unter Kontrolle. Wenn ich explodiere, sterben Raxia und Neven vielleicht.|x
x|Verfluchter Mist! Wieso können die Viecher nicht einfach verschwinden? Ich bin doch stärker als die!|x
Neven macht sich bemerkbar.
x|Sie verschwinden nicht, weil Malum wahrscheinlich ihre Abwehr gestärkt hat. Wenn wir den Bann entfernen, können wir gewinnen|x, sagt er.
x|Und wie stellen wir das an?|x, frage ich, aber werde von Mios Schrei unterbrochen.
Malum hat ihn geschnappt. Er hebt ihn zwischen zwei Krallen in die Luft. Mios Aura tritt hervor. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich gerate in Panik. Die Fluchschatten rücken mir immer mehr auf die Pelle und meine Angriffe verpuffen.
x|Scheiße! Neven. Mach was!|x
x|Ich hab eine Idee. Beschwör die Pistole und schieß auf sie, sobald ich dir das Signal gebe.|x
x|Aber das bringt doch nichts!|x
x|Vertrau mir.|x
Das ist in unserer Situation leichter gesagt, als getan. Umringt von den schwarzen Nebelerscheinungen verliere ich Neven aus den Augen. Ich habe keine Ahnung, was er vorhat. Aus reiner Verzweiflung halte ich mich an besagten Plan und beschwöre die Pistole. Ich schieße, aber die Energie verpufft wie vorhin in den Fluchschatten.
‚So ein Dreck‘, denke ich, bis mir einfällt, dass ich auf Nevens Zeichen warten soll.
Die Luft wird dünner. Durch die Schatten erhasche ich einen Blick auf Mio. Er baumelt zwischen den Krallen als leuchtender Sack in der Luft. Noch hält er seine Aura im Zaum, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis seine Angst die Kontrolle übernimmt.
In dem Moment höre ich Nevens Stimme in meinem Kopf. Er gibt mir das Signal zum Angriff. Zeitgleich werden alle Fluchschatten von seiner Magie umhüllt. Sie schimmern, als ich meinen Angriff starte und sie nacheinander ins Visier nehme.
Als die Energie durch sie hindurchgeht, traue ich meinen Augen kaum.
x|Neven, wie hast du das gemacht? Meine Angriffe gehen durch!|x
x|Ich habe sie mit einem Bann unverwundbar gemacht, weshalb sie deine Energie nicht mehr aufnehmen und abwehren können. Bring jetzt die Decke zum Einsturz. Meine Reserven reichen dafür nicht.|x
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Mit gebündelter Kraft schieße ich nach oben. Malum bemerkt es zu spät, um es zu verhindern. Die Decke stürzt ein. Riesige Gesteinsbrocken fallen herab und begraben den Drachen unter sich. Die Fluchschatten verpuffen, sobald Nevens Bann erlischt.
Ich renne zu Mio. Malum hat ihn in seiner Not fallen lassen. Ich helfe ihm auf. Er ist glitschig von der Drachenspucke, die er vorhin abbekommen hat.
„Renn!“, rufe ich ihm zu.
Mio beeilt sich. Wir laufen zu Neven und Raxia, die am Ausgang warten. Aber wir kommen nicht raus, denn die verpufften Fluchschatten tauchen wieder auf und blockieren uns den Fluchtweg. Wir müssen ausweichen und laufen weg. Neven ist mit Raxia im Schlepptau zu langsam. Ich nehme sie ihm ab. Gerade noch rechtzeitig können wir uns vor einem herabfallenden Gesteinsbrocken in einem Spalt in der Wand in Sicherheit bringen. Der Brocken schlägt keine Sekunde nach uns im Boden ein.
Erschöpft lasse ich Raxia runter und knie mich neben sie. Mio macht Licht. Wir sind mit dem Schrecken davongekommen.
„Der Weg ist versperrt“, stellt Neven fest. „Der Stein ist vor dem Spalt gelandet. Wir müssen teleportieren.“
„Dazu muss Raxia wach sein“, sage ich.
Mio kniet sich besorgt neben sie. Ich halte mir die Nase zu. Drachensabber riecht echt widerlich.
„Sobald wir hier raus sind, badest du“, sage ich.
Mio wirft mir einen beleidigten Blick zu, als wir plötzlich Malums lautes Gebrüll vernehmen. Der Boden zittert durch die Wucht seiner Stimme. Kleinere Steinchen rieseln von der Decke in unser Versteck. Ich beuge mich über Raxia, damit sie ihr nicht auf den Kopf fallen.
„Wir müssen weg“, drängt Neven.
In dem Moment donnert Malums Schwanz gegen die Gesteinsbrocken am Eingang. Sie werden weggeschleudert. Der Weg ist frei, wäre da nicht der gigantische Drachenschädel, der sich vor dem Loch platziert.
Malum öffnet sein Maul. Ich sehe die spitzen Zähne, die so groß wie mein Unterarm sind. Die machen mir jedoch nicht die größte Angst. Viel schlimmer ist die Flamme, die sich in seiner Kehle zu einer Kugel formt. Es bleibt keine Zeit zum Überlegen. Ich packe Raxia unter meinen Arm. Mio und Neven berühren mich, bevor uns Mio in letzter Sekunde hinter den Drachen teleportiert. Erleichtert stelle ich fest, dass Raxia trotz fehlendem Bewusstsein den Sprung geschafft hat und nicht im Zwischennichts verloren gegangen ist.
Unsere Flucht ist jedoch weiterhin unmöglich. Eine heiße Stichflamme aus Energie lässt den Felsspalt vor uns explodieren. Erneut fliegen uns Gesteinsbrocken um die Ohren. Einer davon trifft Malum auf dem Rücken. Er schreit vor Schmerzen auf.
„Das ist es“, ruft Neven. „Hast du die Stelle gesehen, Milan?“
„Zwischen seinen Flügeln?“
„Ja! Greif ihn dort an. Mio, wir bringen Raxia in Sicherheit.“
„Okay.“
Malum schlägt mit seinem Schwanz um sich. Ich weiche aus, beschwöre mein Schwert und renne auf dem geschuppten Schweif nach oben. Malum lässt mich durch die Luft fliegen. Ich lande mit Glück auf seinem Rücken und kann mich festhalten. Das passt ihm nicht. Er dreht sich durch die Trümmer seiner Höhle und lässt noch mehr Wände einstürzen. Ich bete, dass meine Freunde von keinem Brocken getroffen werden.
„Das werdet ihr büßen, ihr Würmer!“, brüllt Malum und schießt einen Feuerball direkt in meine Richtung. Er verfehlt mich und seine Flügel nur knapp.
Ich ramme mein Schwert zwischen seine Schuppen, um nicht abzustürzen. Danach heißt es zielen. Die Stelle zwischen den Flügeln blutet. Der Stein, der dort traf, hat Spuren hinterlassen. Offenbar sind die Schuppen hier nicht so dick.
„Das wars, Drache!“, rufe ich, will zum letzten Schlag ansetzen, aber werde plötzlich von Malums Rücken gepustet. Der Wind von seinen flatternden Flügeln lässt mich gegen die Wand knallen. Ich spucke Blut. Der Aufprall war heftig.
Zurück am Boden sehe ich erneut in das aufgerissene Maul mit dem Feuer im Schlund.
‚Wars das?‘
Mio packt mich. Er zerrt mich auf die Beine, während seine Aura um seinen Körper herum leuchtet. Malum weicht zurück, aber es ist zu spät. Ich höre Mio schreien und sehe in dem Moment sein Gesicht. Seine Augen sind voller Furcht. Ich will ihm noch zurufen, an Neven und Raxia zu denken, jedoch ist es sinnlos. Mios Aura explodiert. Der Druck schleudert uns durch den Raum. Wir fliegen in eine Horde Fluchschatten, die zu langsam waren und nun in Mios Energie verbrennen. Ihr Kreischen verschafft mir Gänsehaut.
Mit einem Schlag wird die gesamte Höhle pulverisiert.

Als ich wieder zu mir komme, befinden wir uns auf den Trümmern. Nevens Schutzkuppel hat uns ein zweites Mal gerettet.
Benommen sitzt er neben Raxia und wirkt erschöpft. Sie ist immer noch bewusstlos. Mio ebenfalls.
„Verdammt“, knurre ich und richte meinen schmerzenden Körper auf.
Ich blicke nach unten. Die Trümmer der Höhle sind verdammt hoch. Das war echt knapp. Doch plötzlich bewegen sich Steine direkt vor uns. Ich weiche zurück. Malums Maul bahnt sich den Weg durch das Geröll. Sein Auge funkelt mich an. Das andere hält er geschlossen. Es blutet.
„Dass ich so enden werde“, keucht Malum. „Von einem einfachen Menschen besiegt.“ Er lacht. „Nein, du bist kein einfacher Mensch. Ihr beide nicht.“
„Bist du jetzt fertig?“, knurre ich.
„Du bist der Zweite, stimmt’s? Beide Keys vereint. Wir hätten ihn damals töten sollen.“
„Sprichst du von Zodan?“, mischt sich Neven ein.
Malums Blick huscht zu ihm.
„Sprichst du von Zodan, dem ersten Menschen auf der Erde?“, wiederholt Neven.
Malum lacht. Er verschluckt sich und hustet. Dampf schießt aus seiner Nase. Ich weiche zurück und starre fassungslos den gigantischen Schädel des Drachens inmitten des Schutthaufens an.
‚Von was reden die?‘, denke ich.
„Das Ziel war zum Greifen nah und ist in unerreichbare Ferne gerückt“, seufzt Malum. „Wer hätte gedacht, dass sich die Prophezeiung erfüllt und wir sie als überlegene Rasse nicht aufhalten können. Eine Schmach.“
„Jetzt ist es vorbei“, sagt Neven.
Malum sieht in meine Richtung.
„Komm her“, fordert er.
„Damit du mich grillen kannst? Ich denk nicht dran.“
„Komm her. Ich will dir etwas geben.“
„Ich vertrau dir nicht.“
„Tu es, Milan.“
Entgeistert wandert mein Blick zu Neven.
„Wir haben ihn besiegt“, sagt er.
Ich lasse mich widerwillig umstimmen und gehe zu dem sterbenden Drachen.
„Beschwör dein Schwert und schneide mein Auge heraus“, fordert Malum.
„Was?! Warum sollte ich dich verstümmeln wollen?“
„Um eine Chance gegen meinen Erzfeind Fatum zu haben.“
Ich zögere, bis ich Nevens Hand auf meinem Rücken spüre. Er nickt mir zu. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Mein Körper wirkt wie ferngesteuert, als ich mein Schwert in den Händen spüre und tatsächlich mit der Klinge Malums Auge herausschneide. Er hat dabei keine Schmerzen, was es aber nicht weniger brutal und blutig macht.
Angewidert halte ich seinen Augapfel in den Händen.
„Iss ihn“, fordert Malums schwache Stimme.
Mir dreht sich der Magen um.
„Iss ihn und du wirst mit meinen Augen sehen lernen.“
„Ist das widerlich! Nur über meine Leiche! Du spinnst doch!“
Der Drache antwortet nicht mehr. Neven seufzt. Er lässt sich auf den Po sinken. Ich halte noch immer das Auge in der Hand.
Als ich es gerade wegwerfen will, hindert er mich daran.
„Tu, was er sagt.“
„Ich esse gewiss kein Auge. Mir kommt’s schon nur bei dem Gedanken hoch.“
„Malum ist gerade gestorben. Er kann uns nicht mehr sagen, wie wir Fatum besiegen“, erklärt Neven.
„Als ob er uns das verraten hätte.“
„Fatum ist sein Erzfeind. Ich denke, er wollte, dass wir ihn töten. Also iss das Auge. Vielleicht erfahren wir einen Weg, Fatum zu besiegen.“
„Das ist ein schlechter Witz. Iss es doch selbst“, antworte ich.
„Ich bin kein Key.“
„Ich will auch keiner sein! Soll Mio es essen. Ich pack Zucker drauf, dann wird er das schon machen.“
„Malum hat dich auserwählt. Jetzt leiste deinen Beitrag.“
Fassungslos gleitet mein Blick zwischen Neven und dem blutigen Auge in meiner Hand hin und her. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder heulen soll – oder kotzen. Danach steht mir gerade am meisten der Sinn.
Ich schlucke stark. Das Auge ist im Vergleich zum Drachen verhältnismäßig klein. Es passt in meine Hand. Mit einem Bissen wäre es aber nicht getan. Der Gedanke war zu viel. Mein Mageninhalt kommt nach draußen. Angewidert wische ich mir danach über den Mund.
„Niemals, Neven.“
„Bitte Milan. Tu es für die Menschen.“
„Nein.“
„Dann tu es für deine Familie und Freunde. Ich bin mir sicher, dass es auf der Erde Menschen gibt, die dir wichtig sind.“
„Ich esse kein Auge!“
„Dann versuch es zu absorbieren“, sagt er.
„Das ist doch dasselbe!“
„Nein, ist es nicht. Auch die Körper der Drachen bestehen aus Energie. Vielleicht kannst du die Kraft des Auges in dir aufnehmen, wenn du es an deine Stirn legst. Es ist gut möglich, dass du als Zweiter Key Energie nehmen kannst, wenn Mio als Erster sie gibt.“
„Ich bin nicht der Zweite. Du hast das nach der Knochenlese einfach in den Raum geworfen. Ein paar blaue Flammen und verrückte Erinnerungen sind für mich noch kein Beweis.“
Ich werfe Neven das Auge zu. Reflexartig will er es fangen, jedoch lässt er es mit schmerzverzogenem Gesicht fallen. Seine Hände glühen. Ich kann kaum glauben, was ich eben gesehen habe. Zögernd bücke ich mich und hebe das Auge vom Boden auf.
„Wieso kannst du es nicht anfassen?“
„Weil nur die Keys in der Lage sind, die aguanischen Drachenschuppen zu berühren. Deswegen kann ich das Auge weder anfassen, noch meinem Körper einverleiben. Bitte Milan. Hör auf Malum und nimm sein Geschenk an.“
„Und wenn das ein Trick ist und ich danach tot umfalle?“
„Wir müssen an das Gute glauben. Außerdem …“
„Jaja. Außerdem bin ich schon längst tot. Der Gag wird auch nie langweilig.“
Ich seufze und betrachte missmutig mein „Geschenk“. Essen kommt auf keinen Fall in Frage. Nach Nevens rührseliger Rede bin ich jedoch bereit, die Energieabsorbtion zu versuchen. Ungeschickt halte ich mir das Auge an die Stirn und komme mir mehr als dämlich dabei vor.
„Konzentrier dich und stell dir vor, die Energie über deine Haut in deinen Körper zu lenken.“
‚Der hat leicht reden. Wie soll ich mir sowas Verrücktes vorstellen?‘
„Du glaubst nicht daran, Milan. So wird es nicht klappen.“
„Ich bin bemüht, okay?“, antworte ich zickig, bevor ich mir wirklich Mühe gebe. Still halte ich die Augen geschlossen und fühle das matschige, kalte Auge an meinem Kopf. Bevor mich erneut der Ekel überkommt, spüre ich plötzlich Wärme. Mir wird ganz anders. Meine Hände beginnen zu brennen und in mir spielt alles verrückt. Ich will Malums Auge wegwerfen. Es klebt an meiner Hand und leuchtet. Dann trifft mich eine Wucht. Ich verliere den Boden unter den Füßen. Alles wird schwarz. Ich treibe in der Endlosigkeit. Meine Gedanken sind konfus. Ich hab gewaltige Angst und bereue, auf Neven gehört zu haben.
Vor mir taucht Malum auf. Er schwebt im schwarzen Nebel und bis auf seine leuchtenden Augen ist er nur schwer zu erkennen. Ich will in Angriffshaltung gehen, jedoch habe ich in der Schwerelosigkeit keine Kontrolle über meinen Körper.
„Du brauchst keine Angst haben“, sagt Malum.
„Ich vertrau dir nicht! Welche kranke Scheiße ziehst du hier ab? Wo sind meine Freunde?“
„Für sie steht die Zeit still, während wir uns unterhalten. Du befindest dich im Zwischennichts. Es ist der Übergang von der Dritten zur Vierten Dimension. Ein Ort, den du nur durch die Energie, die ich dir mit meinem Auge vermacht habe, betreten und verlassen kannst.“
„Ich will zurück.“
„Später. Vorher will ich dir erzählen, warum du existierst.“
„Das will ich nicht hören! Lass mich zurück!“
„Du hast keine Wahl. Versuch dich zu konzentrieren und deine Angst zu vergessen. Ihr Menschen habt zu viele Emotionen. Sie machen euch schwach. Euer Organismus wird von euren Nerven gesteuert, weshalb der Erste stets die Kontrolle verliert und seine wahre Macht nicht beherrscht. So werdet ihr Fatum nie besiegen.“
„Dich haben wir so auch bekommen. Und außerdem: Als ob du wollen würdest, dass wir gewinnen. Du bist unser Feind. Oder warst es…“
„Denkst du?“ Malum grinst. „Siehst du nur schwarz und weiß?“
„Nein.“
„Dann hör mir zu. Ich erzähle dir die Geschichte.“

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Keys of Zodan

Wiederkehr Teil 2

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Leseprobe – Band 1

– Milan –

Der Tag der Tage ist gekommen. Raxia und ich sind bereits auf dem Weg in die Menschenwelt. Wir erreichen die Lichtung wie geplant einen Tag vor der Blutmondnacht.
„Wir werden uns ausruhen und warten, bis das Ritual in vollem Gange ist. Erst dann schlagen wir zu“, erklärt sie.
„Können wir den Typen nicht sofort retten?“
„Nein. Es müssen alle Schatten versammelt stehen, damit wir so viele wie möglich von ihnen vernichten können.“
„Aber dann muss er leiden. Willst du wirklich, dass sie ihm die Haut vom Körper schälen?“
„Glaube mir, er hat schon schlimmeres Leid erlebt.“
„Was kann denn schlimmer sein, als bei lebendigem Leib gehäutet zu werden?“
„Frag ihn selbst, wenn es so weit ist. Vielleicht vertraut er dir und du bekommst eine Antwort.“
„Kennst du ihn etwa?“
„Ja und nein.“ Sie weicht meinem Blick aus.
„Gibt es etwas, was ich wissen sollte?“ Ich kenne das Mädel mittlerweile lang genug, um zu wissen, wenn sie mir gegenüber nicht aufrichtig ist.
„Das erfährst du alles zu seiner Zeit.“
„Weich mir nicht aus. Was hat es mit dem Jungen auf sich? Was ist an ihm so besonders? Ich habe keine Lust, dass die fette Echse mich in die Quälerei steckt. Es wäre gut, wenn ich alle wichtigen Informationen hätte.“
„Das erkläre ich dir früh genug.“
Wir hören entfernt von uns ein Rascheln. Raxia hält mir den Mund zu und zieht mich hinter einen Baum. Sie lehnt sich eng gegen meinen Körper. Eine Gestalt in dunkler Robe bewegt sich an uns vorbei.
„Der hat genau so einen beschissenen Modegeschmack wie du“, flüstere ich.
„Pscht. Wenn wir entdeckt werden, ist es vorbei.“
„Jaja. Nimm bitte dein Bein aus meinem Schritt. Danke.“
„Wah. Entschuldige.“
„Leise.“

Angespannt hält sich Raxia den Mund zu, nachdem sie meine Intimzone wieder zugänglich gemacht hat. Mucksmäuschenstill lauschen wir, ob der Typ uns bemerkt hat. Er pfeift und kichert unter seiner Kapuze, sucht jedoch nicht nach uns. Glück gehabt.
„Das war knapp“, seufzt sie erleichtert.
„Kannst du sehen, was der macht?“
„Ja. Er bereitet das Ritual vor.“
„Können wir ihn nicht beseitigen? Wenn er niemanden warnen kann, kommt der Rest doch trotzdem, um den Jungen zu foltern.“
„Nein. Wir warten, bis die Zeit reif ist.“
Raxias Hartnäckigkeit macht mich wütend, denn ich will den Schreien des Jungen nicht erneut ausgeliefert sein. Es war schlimm genug, ihn in der Vision leiden zu sehen. Den ganzen Scheiß jetzt in echt zu erleben, gefällt mir überhaupt nicht. Aber ich warte brav an ihrer Seite, bis der Robenträger die Opferstätte vorbereitet hat, um sich danach wieder zu verziehen.
„Puh“, atmet Raxia auf. „Das erste Hindernis ist überwunden.“
„Wir hätten ihn töten sollen.“
„Nein. Du weißt nicht, wie stark er ist. Wenn wir eine Chance gegen alle Schatten haben wollen, brauchen wir den Blutmond.“
„Der sah doch überhaupt nicht stark aus. Außerdem war er allein und wir zu zweit.“
„Aber du kannst deine Energie nicht unbegrenzt einsetzen. Sie regeneriert sich nicht in der Menschenwelt. Wenn wir das Portal erneut durchschreiten, würden wir direkt auf der Lichtung auftauchen. Wir müssen uns zusammenreißen. Unsere Zeit wird kommen.“
„Aber die quälen den Typen bestimmt schon.“
„Nein. Momentan ist er bewusstlos.“
„Woher willst du das wissen?“
„Weibliche Intuition.“
„Verarsch mich nicht.“
„Dann hör auf dumme Fragen zu stellen.“
„Wie soll ich denn kämpfen, wenn ich nicht alle Hintergründe kenne?“
„Du weißt alles, was du zu diesem Zeitpunkt wissen musst. Und jetzt sei still und ruh dich aus. Deine Wut kannst du morgen an den Schatten auslassen.“

Die nächste Nacht bricht an. Wir haben die Wartezeit mit Daunenjacken gegen die Winterkälte im Wald verbracht und uns nicht wieder gestritten. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Wir sind nicht länger allein auf der Lichtung. Die Schatten sammeln sich. Sie bringen den Jungen. Er ist bewusstlos, so wie Raxia es vorausgesagt hat. Mir schnürt es die Kehle zu, als ich beobachte, wie ein Typ in grauer Robe ihn auszieht und an den mächtigen Baum fesselt.
„Beruhige dich“, flüstert Raxia, als sie meine geballten Fäuste bemerkt. „Es ist noch zu früh.“
„Ja“, zische ich. „Ich darf doch aber wütend sein?“
„Ich bin auch wütend.“
„Dann spare dir deine Wut für den Kampf auf“, wiederhole ich ihre eigenen Worte und erhalte einen verärgerten Blick. Die Schatten beziehen ihre Position. Zwischendurch wird der gefesselte Typ wach. Er hat Angst. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich höre seine panische Stimme, während er mit einem Kerl in grauer Robe spricht.
„Hast es bald geschafft, Mioleinchen.“
„Tarek. Wird es wehtun?“
„Der auch?“, zischt Raxia geschockt.
„Kennst du diesen Tarek?“, frage ich leise.
„Tarek vom Totensee. Er ist der Herrscher des gleichnamigen Sees in der Schattenwelt. Er verfügt über eine ungeheure Regenerationsfähigkeit.“
„Hm, wenn er der Heiler ist, sollten wir ihn zuerst platt machen. Wenn ich etwas aus Games gelernt habe, dann das.“
„Nein, er kann nur sich selbst regenerieren. Ich bin überrascht, dass er ebenfalls hier ist.“
„Offenbar hat auch er großes Interesse an dem Typen da am Baum.“
„Kein Wunder, wenn man bedenkt, wer er ist.“
Es vergehen ein paar Minuten, bis die nächsten Schatten die Bühne betreten. Durch die schlechten Lichtverhältnisse kann ich nicht viel erkennen. Ich kann aber auch nicht weiter ran, ohne entdeckt zu werden.
„Unter der roten Robe ist der Erste Handlanger von Malum“, erklärt Raxia angespannt. „Sein Name ist Pirk. Er ist der Gefährlichste von allen.“
Die Schatten stehen vor dem Jungen. Sie zeigen ihr Gesicht. Unter ihnen ist auch eine verängstigte Frau in weißer Robe.
„Wer ist sie? Auch ein Opfer?“
„Ja.“
„Wir retten sie.“
„Nein.“
„Was? Willst du zusehen, wie sie die Frau …?“
„Leise.“
„Das ist nicht dein Ernst, Raxia.“
„Wir dürfen nichts unternehmen.“
„Ich sehe nicht zu, wie die einen Menschen ermorden.“
„Doch. Du wirst gehorchen.“
„Du hast mir nichts vorzuschreiben.“
„Milan bitte. Ich weiß, dass es grausam ist, nichts zu unternehmen. Aber wenn wir das Ritual zu früh stören, werden wir scheitern. Pirk muss seine ganze Kraft in den Blutmond lenken, sonst ist er zu stark für uns. Dann stirbt nicht nur die Frau, sondern alle Menschen auf der Welt. Falls es dir hilft: Die Frau opfert sich freiwillig. Sie gehört zu Malums Untertanen.“
„Dir fällt das leicht, was? Mir aber nicht. Ich werde die sofort fertigmachen.“ Raxia packt mich am Arm.
„Bitte Milan. Ich will, dass Emilio das übersteht. Ich bin es ihm schuldig.“
„Also kennst du ihn.“
„Nicht direkt.“
„Sag mir, wer er ist. Vielleicht überlege ich es mir dann anders und vergesse mein Gewissen.“
„Ich beobachte ihn seit einer ganzen Weile. Er ist die Wiedergeburt einer Key-Seele. Er wurde von meinen Ältesten erschaffen, weshalb er mächtig ist. Die Schatten werden ihn so lange quälen, bis er sich dem Hass ergibt. Erst dann können sie ihn zu einem von ihnen machen. Das Ritual, welches sie gerade abhalten, dient diesem Zweck. Sie wollen mit der Macht des Blutmondes Emilios Kräfte potenzieren, um einen übermächtigen Schatten zu erschaffen, der die Menschheit versklavt.“
„Dann ist die Sache ja wirklich ernst“, sage ich mit trockenem Mund. Mein Blick wandert zurück zur Lichtung. Mittlerweile brennt ein Feuer etwas abseits, um welches weitere Robenträger versammelt stehen. Sie bewegen rhythmisch ihre Füße und treiben das Ritual voran.
Malums Erster Handlanger scheint dabei der Rädelsführer zu sein. Er spricht zu den Anwesenden: „Liebe Gemeinde. So viele Jahre haben wir gewartet, doch heute – HEUTE ist das Warten vorbei. In dieser Blutmondnacht werden wir die Key-Energie entfesseln und unserem Herrn und Meister dienen! Im Zeichen des Blutmondes opfern wir das Blut der Jungfrau und erzürnen die Macht, um Seelen zu brechen und dem Teufel Fatum zu trotzen.“
„Jetzt beginnt es“, flüstert Raxia. „Pirk hat mit seiner Ansprache den Blutmond gerufen. Gleich sehen wir ihn.“
Die Schatten beginnen gemeinsam zu summen, bis ein rotes Leuchten am Himmel sichtbar wird. Ein blutroter Mond steht plötzlich am Nachthimmel. Er ist riesengroß und leuchtet mittig erhoben über den grauen Gestalten. Sein roter Schein färbt die Nacht blutig. Das Summen der Schatten verstummt schlagartig.
„Greifen wir jetzt an?“, frage ich Raxia.
„Nein, noch nicht.“
„Wann?“
„Wenn die Frau tot ist und Emilio seinen Körper verlässt.“
„Er verlässt seinen Körper?“
„Ja. Seine Aura wird durch die Einwirkung des Blutmondes in seiner Seele versiegelt, die danach aus seinem Körper fahren wird. Die Schatten wollen sie stehlen. Wir müssen ihnen zuvorkommen. Nachdem wir sie besiegt haben, schnappen wir uns Emilio und holen ihn zurück, damit er an unserer Seite kämpft.“
„Also töten wir ihn?“
„Ja, vorerst. Nur so können wir trotz des Blutmondes verhindern, dass aus ihm ein Schatten wird.“
Plötzlich höre ich einen markerschütternden Schrei. Er kommt von der Frau. Noch ehe ich begreife, was passiert, hält Raxia mich fest. Ihr stehen die Tränen in den Augen.
„Bitte, Milan. Lass es geschehen.“
„Was?“ Mein Blick wandert zu der Lichtung. Der Frau wird ein Messer an die Kehle gehalten. Sie lächelt.
„Ich werde die alle massakrieren“, knurre ich hasserfüllt.
„Wir werden sie alle in die Hölle schicken.“
Tapfer nicke ich und sehe Raxia in die Augen, um mich von dem Elend abzulenken, was da gerade auf der Lichtung geschieht.
Bis Emilio schreit: „NEIN!“
Die Frau kreischt.
„Sieh nicht hin“, jammert Raxia. „Bleib bei mir Milan. Bitte.“
„Sie haben sie angezündet …“, stammle ich paralysiert. Raxia durchzieht ein tiefer Schluchzer.
Malums Erster Handlanger ergreift das Wort. „Großer Herr und Meister, wir opferten die Jungfrau aus unseren Reihen und schüren den Zorn der Macht.“ Seine Stimme lässt die Erde erzittern.
Die Menge stimmt wieder in ihr wahnsinniges Summen ein. Nach Minuten löschen sie das Feuer. Die Schreie der Frau sind verstummt. Der Geruch von verbranntem Fleisch liegt in der Luft. Mir dreht sich der Magen um. Verzweifelt klammere ich mich an Raxia.
„Wir werden es ihnen heimzahlen“, flüstert sie. „Gleich ist es so weit.“ Sie löst sich von mir und wischt sich die Tränen weg. „Gleich werden wir einschreiten.“
Entschlossen nicke ich. Mein Zorn ist grenzenlos. Jeder Muskel meines Körpers ist angespannt und freut sich darauf, diese Mistkerle in Stücke zu reißen.
Malums Erster Handlanger ergreift wieder das Wort: „Der Hass des Ersten Keys wird uns unbesiegbar machen. Großer Meister Malum, wir überbringen euch eine von Zodans Seelen. Auf das sie euch den Jahrtausende andauernden Krieg gegen Teufel Fatum gewinnen lasse.“ Ein Mann steht vor Emilio am Baum. Er hält einen schwarzen Dolch in der Hand, mit dem er ihm die Haut zerschneidet.
Ich höre wieder seine markerschütternden Schreie aus der Vision. Mir gefriert das Blut in den Adern. In meinen Gedanken sehe ich Emilio blutend am Baum hängen. Ich fühle seinen Schmerz.
„TÖTET DEN KEY!“, schreien die Schatten. Ich halte mir die Ohren zu. Ich kann diese Schreie nicht ertragen.
„Er schwebt“, flüstert Raxia und deutet zum Himmel. Meine Augen folgen ihrem Finger. Ich erkenne eine leuchtende Kugel vor dem Blutmond.
„Ist das Emilio?“
Sie nickt entschlossen. „Das ist seine Seele. Sie ist aus seinem Körper gefahren. Wir werden jetzt angreifen.“
„Endlich.“
Noch nie waren wir uns so einig wie jetzt.

Der Kampf gegen die Schatten beginnt. Raxia und ich machen uns bereit. Wir nutzen dazu die Besonderheit des Blutmondes, der die Lichtung erhellt.
„Wir werden jetzt miteinander verschmelzen“, erklärt sie. Ich nicke ernst. Mein Verhalten überrascht sie: „Wie? Kein dummer Kommentar?“
„Mir ist mein Humor vergangen. Sag mir, was zu tun ist.“
„Okay. Durch die Energie, die uns durch den Blutmond zuteilwird, können wir unsere Seelen verbinden. Unsere Kraft wird dadurch verdoppelt.“
„Geht das wieder rückgängig zu machen? Nicht, dass wir dann für immer eins ergeben. Das will ich auf keinen Fall.“
„Denkst du, ich will das für immer? Sobald unsere Energie unter eine gewisse Grenze fällt, trennen sich unsere Seelen von allein. Wir müssen nur aufpassen, dass uns das nicht während des Kampfes passiert.“
„Gut.“ Ich breite meine Arme aus. „Los Raxia, fahr in mich. Dieses Angebot bekommst du von mir nur einmal.“
Sie nähert sich und legt ihre Hände an meine Brust. Ihr Blick bleibt gesenkt. Sie schließt die Augen. Ich halte in der Zeit still und warte ab, ob die Energie des Blutmondes uns tatsächlich verschmelzen lässt. So wirklich kann ich mir das nicht vorstellen. Raxia leitet ihre Energie über ihre Hände in meine Brust. Der Schein des Blutmondes umhüllt uns. Ich fühle eine brennende Hitze in meinem Herzen. Ich kneife erschrocken meine Augen zusammen. Als ich sie vorsichtig wieder öffne, ist Raxia weg.
x |Sehr gut.| x Ich höre ihre Stimme in meinem Körper. Gänsehautfeeling. Ist das abgefahren.
„Bist du das Raxia?“
x |Ja, wer sonst?| x Ich könnte schwören, Raxia rollt gerade genervt mit den Augen.
x |Pass auf, Milan. Du kannst jetzt auch über meine Energie verfügen. Setze sie jedoch sparsam ein, damit unsere Verbindung den gesamten Kampf übersteht. Ich werde dir von hier drinnen helfen. Wundere dich nicht, wenn sich dein Körper vielleicht mal von allein bewegt. Das bin dann ich.| x
„Wie soll ich denn kämpfen, wenn mir mein Körper nicht gehorcht? Wie hast du dir das vorgestellt?“
x |Vertrau mir. Und jetzt hör auf zu reden, sonst bemerkt uns noch jemand.| x
‚Ich kann das langsam nicht mehr hören.‘ geht es mir durch den Kopf
x |Das kann ich wahrnehmen, also sei vorsichtig mit deinen Gedanken.| x
x |Ist das jetzt immer so?| x Ich versuche das irgendwie stärker zu denken.
x |Das ist Telepathie. Mit ein bisschen Übung kann man die reinen Gedanken und die Kommunikation trennen.| x
x |Und wie geht das?| x
Plötzlich ertönt ein Geräusch. Wir haben die Aufmerksamkeit des Schattens geweckt, der mit dem schwarzen Dolch Emilio geschnitten hat. Er hat sich von den anderen entfernt, um zu unserem Versteck zu kommen. Er ist allein.
„Wer bist du?!“, schreit der Mann bedrohlich.
„Ich bin dein Untergang, du verdammtes Monster“, antworte ich wütend.
x |Folge deinem Unterbewusstsein. Den Rest erledige ich.| x
x |Geht klar. Lass sie uns alle fertigmachen| x, denke ich entschlossen und stürze mich in den Kampf.
„Was zum …!“
Raxia hat meinen Körper direkt vor den Kerl teleportiert. Der Typ starrt mich mit großen Augen an. Auf seinem bösartigen Gesicht fallen mir die Blutspritzer auf. Seine Robe und seine Hände sind mit Emilios Blut beschmiert.
Ich höre Raxia etwas sagen und gleich darauf halte ich eine Energiewaffe in meinen Händen. Die blutrote Sense leuchtet gefährlich und liegt schwer, aber nicht zu schwer in meiner Hand. Von ihrer Schneide tropft Blut, welches verdampft, bevor es auf den Boden fällt. ‚Du kannst ja krasse Sachen, Raxia.‘
x |Töte ihn. Lass dich nicht von unseren Gegnern treffen. Wir müssen Malums Ersten Handlanger so schnell wie möglich ausschalten. Für eine langsame Strategie reicht unsere Energie nicht aus.| x
Ich setze mit der Sense zum Schlag an. Noch ehe er reagieren kann, schlage ich ihm den Kopf von den Schultern. Der Geruch des Todes breitet sich in der Luft aus. Ich muss würgen. Zitternd gehe ich einen Schritt zurück. Mir ist eiskalt. Meine Lippen beben und mein Magen dreht sich um.
x |Milan, reiß dich zusammen!| x
Ich bin nicht in der Lage, ihr zu antworten. Mein Blick haftet gebannt auf dem regungslosen Körper am Boden. Schatten hin oder her – der Typ war kein Toter wie Raxia und ich. Sein irdischer Körper besteht aus Fleisch und Blut. Ich habe gerade einen Menschen zerschnitten.
x |Beruhige dich. Du verbrauchst zu viel Energie. So werden wir es nicht schaffen, alle zu besiegen.| x
„Er war lebendig …“, stotterte ich paralysiert. Mir knicken die Beine ein. Die Sense löst sich auf. Ich falle auf den Hintern. Meine Hände krallen sich zitternd in das gefrorene Laub am Boden. Ich habe Angst.
x |Bitte entspann dich. Du hast nichts falsch gemacht.| x
x |Ich habe nichts falsch gemacht? Ich habe gerade einen lebendigen Menschen  … Du hast gesagt, es gibt keine lebenden Schatten.| x
x |Er war besessen. Wenn du ihn nicht getötet hättest, wäre er von Malums Untergebenen spätestens nach dem Ritual ermordet und zu einem vollendeten Schatten gemacht worden. Im Prinzip hast du seine Seele gerettet, obwohl dieses Monster das nicht verdient hat.| x
x |Jetzt klebt Blut an meinen Händen. Das ist nicht witzig. Auch wenn der Scheißkerl es verdient hat, – ich will keine Menschen töten. Jetzt habe ich doch gegen eine der albernen Regeln in der Dritten Dimension verstoßen.| x
x |Die gilt nur für unschuldige Menschen. Er hier war ein Schattenanwärter und unser Feind. Das ist etwas anderes. Jetzt steh wieder auf, nimm dir seinen Dolch und erledige die Restlichen von ihnen. Wir haben nur noch ein paar Minuten, bis sich unsere Verbindung auflöst. Außerdem wird Emilio bald an seinen Verletzungen sterben. Seine Seele leuchtet immer schwächer. Beeil dich, sonst war alles umsonst.| x
x |Ich kann das nicht. Ich kann nicht noch einen Menschen töten, ganz egal, ob er ein Schatten wird. Ich hab Angst. Sieh dir dieses Blutbad an.| x
Raxia übernimmt ungefragt die Kontrolle über meinen Körper und lässt mich aufstehen. Sie tritt in meiner Gestalt neben den Toten, um den schwarzen Dolch aufzuheben.
x |Der gehört dem Kerl in der roten Robe. Wenn es uns gelingt, ihn zu beseitigen, können wir Malum großen Schaden zufügen.| x
x |Ich töte keine Menschen mehr.| x
x |Dieser Schatten ist bereits vor zweitausend Jahren gestorben. Gegen ihn zu gewinnen wird hart, obwohl das Ritual hoffentlich einen Großteil seiner Kraft verbraucht hat. Wir sollten die Rotkutte zuerst ins Visier nehmen.| x
Raxia zu widersprechen wäre sinnlos. Sie interessiert sich nicht für meine Meinung. Mit Leichtigkeit behält sie die Kontrolle über meine Bewegungen. Sie stürmt auf direktem Weg auf die Lichtung. Den schwarzen Dolch schleudert sie zielsicher in die Brust des Schattens, welcher die Frau angezündet hatte. Er schreit und blickt verwundert an sich herab. Die anderen Anwesenden um ihn herum halten Abstand. Entsetzt starren sie auf den Dolch in seiner Brust. Spätestens jetzt haben wir alle Aufmerksamkeit auf uns.
x |Der blutet nicht.| x, schreie ich Raxia panisch in meinen Gedanken zu. Ich habe bemerkt, dass der von ihr getroffene Schatten keine körperliche Verletzung erleidet. Es scheint ihm zwar wehzutun, jedoch geht er nicht zu Boden.
x |Das ist wahrscheinlich ein Phantom-Schatten. Die sind selten und besitzen magische Kräfte.| x
„Magie?“
x |ACHTUNG, MILAN!| x
Raxia bremst meinen Körper abrupt ab. Mir zieht es wegen des glatten Bodens die Füße weg. Im selben Moment schwirrt eine Klinge über meinen Kopf. Sie scheint aus Wasser zu bestehen und löst sich noch während sie durch die Luft fliegt, auf. Ängstlich starre ich ihr nach. Das verdammte Ding hätte mir beinahe den Kopf von den Schultern geschnitten.
x |Das war knapp! Tareks Klinge hätte dich fast erwischt. Beeilung! Unsere Energie schwindet.| x
Ich komme nicht dazu, Raxia in meinen Gedanken zu antworten, da ich bereits weiteren Angriffen ausweichen muss. Der Wächter vom Totensee steht in seiner grauen Kutte mit heruntergelassener Kapuze direkt vor mir. Er grinst mich breit aus seinem schmalen Gesicht hinter den schwarzen Stirnfransen an.
„Es ist unhöflich, eine so wichtige Versammlung zu stören“, bemerkt Tarek schelmisch. Ich beiße die Zähne zusammen und stehe vom Boden auf. Meine Sense ist wieder in meinen Händen. Als ich ihr Gewicht spüre, fühle ich Angst. Ich möchte niemanden mehr töten. Der Schock sitzt mir noch tief in den Knochen. Aber wenn ich jetzt versage, wird Emilio sterben und ein Schatten werden. Das darf ich nicht zulassen.
„Dann sterbt alle, damit die Sache hier schnell vorbei ist“, schreie ich Tarek entgegen und starte meinen Angriff. Ich renne auf ihn zu und erhalte fliegende Wasserklingen als Antwort. Raxia lässt meinen Körper mithilfe von Teleportationen ausweichen. Wir nähern uns dem Wächter des Totensees, bis die anderen Schatten sich dazu entschließen, sich in den Kampf einzumischen. Sie stürmen auf mich zu. Ich starre sie panisch an und unterbreche meinen Angriff auf Tarek.
x |Scheiße. Raxia, tu etwas!| x
x |Setz dich und schließ die Augen. Leite deine ganze Energie aus deinem Körper. LOS!| x
Ängstlich kauere ich mich auf dem Boden zusammen, ziehe den Kopf ein und versuche, die Energie aus meinem Inneren nach draußen abzusondern.
x |Warte, lass sie noch etwas näher kommen.| x
x |Ich kann nicht mehr.| x
x |Warte noch …| x
x |Gott, was für eine Scheiße. Ich will hier nicht draufgehen.| x
x |Jetzt!| x
Ich gehorche ihr. Explosionsartig schießt meine Energie als strahlende Welle aus meinem Körper, die alle anwesenden Angreifer gleichzeitig erfasst. Sie fangen an zu schreien und werden zurückgeschleudert. Auch Tarek kann meinen Angriff nicht abwehren. Ungebremst frisst sich meine Energie durch seine Aura, bis er sich in Luft auflöst. So ergeht es auch den anderen. Sie werden von meiner Kraft verschlungen. Die noch lebenden Körper halten die Unmenge an Energie nicht aus und verbrennen. Die Luft ist erfüllt von Todesschreien.
x |Genug Milan. Hör auf. Es ist vorbei.| x
Meine Energie löst sich auf. Der Angriff ist beendet. Der Blutmond hat seine rote Farbe verloren. Raxia steht erschöpft neben mir. Sie hat meinen Körper wieder verlassen. Wir stehen inmitten eines Haufens von verbrannten Leichen. Es ist totenstill. Ich sinke benommen zusammen. Mir kommen die Tränen, als ich das Schlachtfeld sehe.
„Der wichtigste Schatten ist entkommen“, seufzt Raxia resigniert. Sie legt tröstend eine Hand auf meine Schulter und scheint nicht geschockt. „Kopf hoch, Milan. Du hast getan, was du konntest.“
„Sie sind tot“, stammle ich benommen. „Ich habe sie alle umgebracht. So viele Menschen.“ Es liegen bestimmt um die dreißig Leichen auf dem Boden. Ich habe sie alle während eines Augenblicks getötet.
„Milan, hör auf zu weinen. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Diese Menschen wären alle zu seelenlosen Schatten geworden. Du hast sie mit ihrem Tod erlöst. Die Verbindung ihrer Seelen mit Malum wurde durchtrennt. Sie können als unschuldige Lebewesen wiedergeboren werden.“
„Aber …“ Ich knie im Schlamm. Meine Energiewelle hat den Frost aus dem Boden vertrieben. Der nasse Schmutz kriecht meinen Körper hoch. Heulend starre ich meine zitternden Hände an. An ihnen klebt kein Blut, obwohl so viele Menschen durch mich gestorben sind. Ich bin ein Monster. Plötzlich fühle ich Raxia an mir. Sie hat sich neben mich gekniet und umarmt mich.
„Du hast alles richtig gemacht“, flüstert sie mitgenommen. „Jetzt schluck deine Selbstzweifel hinunter und hör auf zu jammern. Als arrogantes Arschloch gefällst du mir besser.“
„War das gerade ein Lob?“ Ich wische mir meine Tränen weg.
„Sowas in der Art.“ Sie wendet sich von mir ab, um zu der verkohlten Leiche der Frau zu gehen.
„Du wirst bald wieder da sein. Ich verspreche es dir.“ Ihre Hände schweben über dem leblosen Körper und lassen ihn leuchten. Keine Sekunde später ist die verkohlte Leiche plötzlich verschwunden.
„Wo ist sie hin?“
„Ich habe ihren Körper in seine Bestandteile zersetzt. Das beschleunigt ihre Wiedergeburt. Sie soll so schnell wie möglich wieder leben dürfen und den Feuertod vergessen.“
„Du hast ja doch ein Herz.“
„Natürlich. Glaubst du etwa, mich lässt das alles hier kalt?“ Bedrückt geht sie an mir vorbei zu Emilio. Er hängt blutend und bewusstlos am Baum. Der Anblick ist gruselig.
„Komm her und bring es zu Ende.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst. Raxia ich …“
„Doch. Wenn du es nicht tust, wird er in ein paar Minuten sterben und ins Schattenreich wandern. Seine Seele ist dann für immer verloren. Du musst ihn retten. Und mit ihm die Welt.“
„Ich kann das nicht.“
„Milan bitte! Ich hole in der Zwischenzeit seine Seele.“
Sie rennt zum Ende der Lichtung. Ich bleibe allein mit meiner Entscheidung zurück, ihrem Drängen nachzugeben. Dabei stecke ich gewaltig in der Zwickmühle. Glaube ich Raxia? Will ich den Jungen retten? Kann ich das überhaupt noch? Ich starre auf meine Hände. Sie zittern nicht mehr, aber stark fühle ich mich trotzdem nicht. Mir geht einfach zu viel durch den Kopf. Das Ritual, die Frau, die unfassbare Grausamkeit, die mir hier begegnet ist – diese Erinnerungen haben sich fest in meine Seele eingebrannt.
Genau wie Emilios Schreie.
„Los! Ich habe seine Seele.“
Raxia reißt mich aus meinen Gedanken. Mit verschlossenen Händen kommt sie zu mir zurückgelaufen. Sie öffnet sie einen winzigen Spalt. Ich entdecke zwischen ihren Fingern ein schwaches Schimmern.
„Wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Mich trifft ihr aufrichtiger Blick, der mich seufzen lässt.
„Mein Karma ist eh im Arsch.“ Schweren Herzens trete ich an Emilio heran. „Scheiße …“
Ich sehe in sein Gesicht. Ihm hängen die braunen Haare in die Augen, sodass ich kaum etwas erkennen kann. Ist vielleicht auch besser. Jemanden ohne Gesicht zu töten, lässt sich bestimmt leichter verdrängen. Wortlos packe ich seinen Hals. Er fühlt sich eiskalt und zerbrechlich an. ‚Ich habe es gleich geschafft.‘
Ich versuche mich abzulenken. Mir kommt die Folterkammer von der Burg wieder in den Sinn. Würde Olli das jetzt sehen, hätte er sicher die korrekte Foltermethode aus dem Mittelalter parat. Warum fällt mir sowas ein, wenn ich mich ablenken will?
„Er ist tot.“ Raxias Stimme ist so laut, dass ich vor Schreck zusammenzucke. „Seine Seele hat sich von seinem Körper getrennt. Du kannst aufhören.“
Steif nehme ich meine Hände von ihm.
„Los. Wir kehren ins Nichts zurück, damit ich ihn zurückholen kann. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
„Was stehen wir dann hier noch rum?“

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Keys of Zodan

Wiederkehr Teil 1

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Leseprobe – Prequel: Emilio’s Story

– Emilio –

Mein Handy zeigt 2:00 Uhr, als ich wegen eines unheimlichen Scharrens in meinem Zimmer wach werde. Im ersten Moment glaube ich, mich verhört zu haben. Im Halbschlaf will ich mich einfach umdrehen und weiterpennen, aber das Scharren wird lauter. Ich bekomme Gänsehaut und schalte das Licht ein. Ängstlich sehe ich mich von meinem Bett aus im Zimmer um – nichts zu entdecken.
‚Mann, hör auf damit! Dieses Geisterzeug nervt‘, denke ich, schalte das Licht aus und lege mich wieder hin.
Krrrrr. Krrrrr. Krrrrr.
Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Das Scharren verschwindet nicht. Ich schalte die Nachttischlampe wieder ein. Mein Herz klopft wild, aber es ist nach wie vor nichts zu sehen.
„H-Hallo?“, rufe ich zaghaft, doch erhalte wie zu erwarten keine Antwort.
Ich lege mich wieder hin, aber lasse das Licht an. Es bleibt ruhig. Nachdem sich mein Puls wieder normalisiert hat, schalte ich das Licht aus und will weiterschlafen. Plötzlich kommt das Scharren ganz nah von der Wand, an dem mein Bett steht. Ich öffne die Augen, weil ich nach meiner Lampe Ausschau halte, jedoch sehe ich nicht das LED-Licht, sondern die toten Augen der Skelett-Schattengestalt, die mir im Zug begegnete. Ich schreie wie am Spieß. Mir treten die Tränen in die Augen, als ich mich unter meiner Bettdecke verkrieche und laut winsle, dass es mir nichts tun soll.
‚Es gibt kein Entkommen, Erster Key‘, dröhnt die Grusel-Stimme wieder in meinem Kopf.
„GEH WEG!!!“, brülle ich, höre die Stimme – höre das Scharren und fühle ein Ziehen an meiner Bettdecke.
Endlich geht das Licht an und meine Eltern kommen in mein Zimmer. Ich heule, aber darf feststellen, dass das Monster verschwunden ist.
„Emilio?!“, fragt Papa mit scharfem Ton. Er zieht die Decke von meinem Kopf und erschrickt, als er mein panisches Gesicht sieht. Ich zittere am ganzen Leib und kann nicht sprechen.
„Oh Gott, Schatz. Was ist passiert?“, fragt Mama und nimmt mich in den Arm. Ich vergrabe mein Gesicht an ihrer Brust und heule wie ein Baby.

Es dauert, bis ich den Schock überwunden habe und meinen Eltern von dem unheimlichen Wesen erzähle. Ich tarne es jedoch als „Albtraum“, damit es nicht ganz so verrückt klingt.
„Hast du dir zu viele Horrorfilme angesehen?“, fragt Papa nach meiner Erklärung.
„Nein.“
Mama streichelt meinen Rücken.
„Wer weiß, was du da alles verarbeitest. Die letzten Wochen waren wegen des Fußballs und der Schule sehr anstrengend. Dazu noch dein verletzter Fuß und deine Freundin – das alles beschäftigt dich auch im Schlaf.“
„Miss Oberhexe hat gesprochen“, lacht Papa, weil er noch nie an Traumdeutung und Übernatürliches geglaubt hat. Vor dem Zusammentreffen mit diesem unheimlichen Wesen habe ich das auch nicht getan.

Ein Patentrezept gegen gruslige Schattenwesen mit Klauen gibt es jedoch nicht, sodass ich wieder das Licht anlasse und meine Tür einen Spalt offenbleibt, nachdem meine Eltern zurück in ihr Bett gegangen sind. Schlaf finde ich natürlich nicht mehr. Da jedoch Wochenende ist, kann ich nach Sonnenaufgang im Wohnzimmer im Beisein meiner Eltern ein Nickerchen machen. Der Schlaf bleibt ohne Traum. Wirklich erholt bin ich danach jedoch nicht. Meine Angst will mir nicht mehr aus dem Kopf. Selbst als Nele am Nachmittag zur verabredeten Zeit vor unserer Tür steht, kann ich mich nicht gänzlich auf sie konzentrieren. Ein Glück, dass meine Eltern sie neugierig löchern. Papa fragt sie über die Fleischerei ihres Vaters aus, weil er während seiner Streife bereits öfter dort zu Mittag gegessen hat. Mama dagegen ist angetan von Neles gutem Modegeschmack. Das sind beides Themen, die mich nicht interessieren. Meine Gedanken schweifen ab und ich merke erst gar nicht, dass Nele mich fragt, ob wir nach dem Kaffeetrinken auf mein Zimmer gehen.
„Träumst du?“, fragt sie und kichert.
„S-Sorry“, antworte ich verlegen, bevor ich ihrem Wunsch nachkomme und ihr mein Zimmer zeige. Sie sieht sich interessiert in dem kleinen Raum um. Viel gibt es jedoch nicht zu entdecken. Bett, Schreibtisch und ein paar Fußballposter an den Türen des Kleiderschrankes, weil Papa mir verbietet, sie an den Tapeten zu befestigen.
„Du bist ja echt krankhaft ordentlich“, bemerkt sie, als sie meine nach Farben sortierten Stifte auf dem Schreibtisch bemerkt.
„Ich habe es gern übersichtlich“, sage ich und biete ihr meinen Schreibtischstuhl an, aber Nele lehnt ab. Sie nimmt meine Hand und geht mit mir zum Bett. Ich will erst nicht, weil ich an das schreckliche Monster von letzter Nacht denke, aber das kann ich Nele nicht erzählen. Gehorsam nehme ich neben ihr Platz. Bald darauf küssen wir uns. Ich bekomme Bauchkribbeln, als sie mich mit Zunge küsst.
‚Das ist viel besser als die unerfüllte Liebe zu Thorben‘, geht mir durch den Kopf, bevor Nele den Kuss unterbricht.
„Da wir jetzt zusammen sind, will ich mein Profil aktualisieren. Können wir ein Selfie von uns machen?“, fragt sie und sieht mich bettelnd an.
„Wenn du magst.“
„Supi!“ Sie strahlt und gibt mir ihr Handy, weil ich die längeren Arme habe.
Schnell ist das Foto geschossen, aber Nele ist nicht zufrieden. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie ihr Traumfoto von uns auf der Speicherkarte hat.
„Ich schick es dir, dann können wir beide dasselbe hochladen. Ein Partner-Post!“, schwärmt sie.
Die nächsten Minuten sind wir mit Posten beschäftigt und driften dann zu Tier- und Musikvideos ab. Irgendwann ruft Mama, dass Neles Papa da ist, um sie abzuholen. Wir verabschieden uns mit einem Kuss in meinem Zimmer.
„Sehen wir uns morgen?“, fragt Nele.
„Gerne.“
„Wollen wir zur Eisdisco? Die hat schon geöffnet“, schlägt sie vor.
„Ich kann nicht Schlittschuhlaufen. Und mit dem Fuß geht es sowieso nicht“, antworte ich.
„Ach, das hab ich vergessen. Seit du die Krücken los bist, ist das für mich wie verheilt.“
„Schön wärs. Aber wer hätte gedacht, dass das länger als vier Wochen braucht.“
Wir einigen uns letzten Endes auf eine romantische Liebeskomödie, die wir im Kino ansehen wollen. Anschließend geht Nele nach Hause und ich darf mir beim Abendessen Lobreden meiner Eltern anhören, was für ein tolles und hübsches Mädchen meine Freundin ist. Ich bin ziemlich stolz. Mit Thorben hätte ich diese Ergebnisse nie erzielt.
Doch trotz all des Lobes und des guten Tages bin ich nervös, als ich mich zum Schlafen ins Bett lege. Vorsichtshalber lasse ich das Nachtlicht an und beschäftige mich mit dem Handy, um mich abzulenken. Ich habe viele Reaktionen für das gemeinsame Foto bekommen. Die Jungs vom Fußball gratulieren mir. Unter ihnen ist auch Thorben. Ich merke, wie ich aufgeregt werde, als ich seine Nachricht lese.
„Hat es also endlich geklappt. Gratuliere! Da können uns Nancy und Nele zusammen anfeuern, wenn wir das nächste Spiel haben und es deinem Fuß wieder besser geht“, hat er geschrieben.
Seine Worte lösen in mir die Erinnerung unseres letzten gemeinsamen Spieles aus, das wegen des starken Regens vorzeitig beendet wurde.

Wir feierten unseren Sieg in der Umkleide. Thorben stand direkt neben mir, als er sein durchnässtes Trikot auszog. Ich habe mir verstohlen seinen Körper angesehen und mir gewünscht, ihn berühren zu können. Auch jetzt kribbelt es in mir, wenn ich an seine flache Brust und den trainierten Oberkörper denke. Im Gegensatz zu mir mag Thorben Krafttraining. Ehe ich mich versehe, bekomme ich eine Erektion bei dem Gedanken an Thorbens nackten und verschwitzten Körper. Es ist nicht das erste Mal, dass er mich dermaßen erregt. Die Hoffnung, dass die frische Beziehung mit Nele daran etwas ändert, war wohl vergebens. Ich seufze und halte die Luft an, bis die Beule in meiner Hose verschwindet. Danach schreibe ich ihm zurück, dass ich mich auf unser nächstes Spiel freue. Das Handy soll danach auf den Nachttisch, aber seine Antwort hält mich davon ab, es beiseite zu legen.
„Wie lange braucht dein Fuß noch? Ich vermisse unsere gemeinsamen Manöver. Kevin hat es nicht so drauf wie du. Das macht keinen Spaß.“
Mir bleibt der Atem weg, als ich Thorbens Zeilen lese.
‚Er vermisst mich‘, denke ich und spüre, wie die Hitze in mir aufsteigt. Mein Herz klopft wie wild und ein glückliches Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab. Eilig antworte ich, damit er nicht zu lange warten muss.
„Wahrscheinlich noch eine Woche, dann sollte alles wieder beim Alten sein. Ich kann es auch kaum erwarten“, lautet meine Antwort.
„Cool, ich freu mich! Wir haben in zwei Wochen wieder ein Spiel, hat der Trainer erzählt. Eine Woche ist da recht kurz … Kannst du deinen Fuß vielleicht jetzt schon wieder etwas belasten? Ich habe mir eine coole Taktik ausgedacht, die ich mit dir üben will. Aber nur, wenn das gesundheitlich nicht bedenklich ist.“
‚Der kann von mir aus abfallen‘, denke ich und merke im selben Moment, dass meine Gefühle sich für Thorben in keiner Weise verändert haben. Besorgt halte ich inne. ‚Was mache ich hier? Ich bin doch mit Nele zusammen. Und Thorben hat Nancy. Ich verrenne mich in etwas.‘
Plötzlich kommt noch eine Nachricht seinerseits: „Ich will dich nicht hetzen. Wenn du noch nicht wieder fit bist, müssen wir eben in der letzten Woche vor dem Spiel richtig ranklotzen.“
„Wann gedenkst du denn zu trainieren? Soll ich am Montag oder am Mittwoch zum Training kommen?“, frage ich, weil mein Bauch im Gegensatz zu meinem Kopf Thorbens Vorschlag nicht ablehnen will.
„Vielleicht morgen? Nancy hat was vor, sodass ich keinen Ärger bekomme, wenn ich meine Freizeit nicht mit ihr verbringe.“
Mein Herz springt bald aus meiner Brust.
‚Ich könnte ihn schon morgen treffen. Wir wären zum ersten Mal allein‘, denke ich aufgeregt. ‚Aber morgen bin ich bereits mit Nele verabredet. Was mache ich denn? Wir wollten ins Kino …‘
Ich weiß, dass ich Thorbens Angebot ausschlagen muss. Nele hat mich zuerst gefragt. Außerdem sind wir zusammen. Meine Eltern mögen sie und ich bin auch gern in ihrer Nähe. Sie zu küssen macht Spaß. Sie ist witzig und hübsch – aber sie ist nicht Thorben.

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